Klimarekonstruktion ermöglicht erstmal präzise Berechnung des Abkühlungstrends in Nordeuropa über die letzten 2.000 Jahre

Berechnungen Mainzer Wissenschaftler beeinflussen auch Beurteilung des aktuellen Klimawandels / Veröffentlichung in Nature Climate Change

09.07.2012

Eine 2.000-jährige Klimarekonstruktion für Nordeuropa anhand von Baumjahrringen hat ein internationales Forscherteam unter Beteiligung von Wissenschaftlern der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) vorgestellt. Die Gruppe um Prof. Dr. Jan Esper vom Geographischen Institut der JGU kombinierte die Jahrringdichtemessungen fossiler Kiefernbäume aus dem finnischen Lappland zu einer Zeitreihe, die bis in das Jahr 138 v.Chr. zurückreicht. Dabei haben die Wissenschaftler erstmalig einen langfristigen Abkühlungstrend über die letzten Jahrtausende präzise berechnet. "Wir haben festgestellt, dass die historischen Temperaturen zur Römerzeit und im Mittelalter bis dato als zu kühl eingeschätzt wurden", so Esper. "Diese Befunde sind auch insofern von klimapolitischer Bedeutung, da sie die Beurteilung des aktuellen Klimawandels im Vergleich zu den historischen Warmphasen beeinflussen." Die neue Studie ist in der Zeitschrift Nature Climate Change erschienen.

War das Klima zur Römerzeit oder im Hochmittelalter wärmer als heute? Und welche Bedeutung haben diese frühen Warmzeiten für die Einschätzung des globalen Klimawandels, wie wir ihn heute kennen? Diese Fragen versucht die Paläoklimatologie zu klären: Wissenschaftler werten indirekte Klimazeugen wie Eisbohrkerne oder Seesedimente aus, um das Klima der Vergangenheit zu rekonstruieren. Für die letzten 1.000 bis 2.000 Jahre sind die wichtigsten Klimazeugen die Bäume, deren Jahrringe Informationen über kalte und warme Bedingungen speichern.

Für ihre Studie verwendeten die Forscher aus Deutschland, Finnland, Schottland und der Schweiz Messungen der Holzdichte von Bäumen aus dem finnischen Teil Lapplands. In dieser großflächigen und kalten, vorwiegend aus Gewässern und Wald bestehenden Landschaft fallen immer wieder Bäume in einen der zahlreichen Seen und bleiben dort über Jahrtausende sehr gut erhalten.

Das internationale Forscherteam kombinierte die Jahrringdichtemessungen dieser fossilen Kiefernbäume zu einer Zeitreihe zurück bis in das Jahr 138 v. Chr.. Die Messungen der Holzdichte korrelieren sehr gut mit den Sommertemperaturen in diesem Raum nahe der nordischen Waldgrenze. Daher gelang es den Forschern, eine Temperaturrekonstruktion von bisher unerreichter Qualität zu erstellen. Diese Rekonstruktion zeigt nun in hoher Auflösung die Wärmebedingungen zur Römerzeit und im Hochmittelalter, aber auch die Kältephasen zur Zeit der Völkerwanderung oder der späteren kleinen Eiszeit.

Die neue Klimakurve zeigt neben diesen Kalt- und Warmphasen aber noch ein Phänomen, mit dem in dieser Form nicht zu rechnen war. Erstmalig konnten die Forscher anhand der Baumjahrringe einen viel längerfristigen Abkühlungstrend, der sich kontinuierlich über die letzten 2.000 Jahre abspielte, präzise berechnen. Auf Grundlage der neuen Befunde macht dieser Trend, der durch langsame Veränderungen des Sonnenstands aber auch der Distanz der Erde zur Sonne verursacht wurde, ein Abkühlung von -0,3 Grad Celsius pro Jahrtausend aus.

"Eigentlich erscheint diese Zahl nicht sonderlich imposant", so Esper. "Allerdings ist sie im Vergleich zur globalen Erwärmung, die bis heute auch weniger als 1 Grad Celsius beträgt, nicht zu vernachlässigen. Wir konnten nun zeigen, dass die großräumigen Klimarekonstruktionen, die auch vom internationalen Klimarat IPCC verwendet werden, den langfristigen Abkühlungstrend über die letzten Jahrtausende unterschätzen."