Überschuldete Menschen sind häufiger krank

Mainzer Studie zeigt Zusammenhang zwischen schlechtem Gesundheitszustand und Überschuldung

20.12.2011

Der Gesundheitszustand von dauerhaft zahlungsunfähigen Privatpersonen ist defizitär: So sind überschuldete Personen häufiger krank, nehmen aber gleichzeitig das Gesundheitssystem wenig in Anspruch. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie "Armut, Schulden und Gesundheit" des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Mainz. Die Studie hat erstmals den Gesundheitszustand und die Gesundheitsversorgung von überschuldeten Privatpersonen in Deutschland quantitativ untersucht. Nach den bereits vorliegenden Ergebnissen der Stichprobe für Rheinland-Pfalz wurden jetzt die Ergebnisse der Stichprobe für Mecklenburg-Vorpommern vorgestellt, die ein ähnliches Bild vermitteln wie die Resultate der bereits vorliegenden Stichprobe.

Die Überschuldung und damit die Zahlungsunfähigkeit von Privathaushalten in Deutschland stellt ein gesellschaftlich nicht zu unterschätzendes Problem dar. Laut Ergebnissen von Creditreform Wirtschaftsforschung liegt die Quote der überschuldeten Verbraucher in Deutschland zum Stichtag 1. Oktober 2011 bei 9,38 Prozent – damit sind rund 6,41 Millionen Bürger über 18 Jahren überschuldet oder weisen nachhaltige Zahlungsstörungen auf. "Der Jahresbericht der Landesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung Mecklenburg-Vorpommern weist für 2010 eine Überschuldungsquote von 16,9 Prozent auf. Die Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen im Land haben im letzten Jahr mehr als 4.300 neue Rat- und Hilfesuchende betreut. Die Beratungsleistung beginnt dabei in der Regel nicht erst mit der Vorbereitung des Verbraucherinsolvenzverfahrens, sondern beinhaltet nach dem ganzheitlichen Beratungsansatz auch Basisberatung, Existenzsicherung, Forderungsüberprüfung, Schuldnerschutz, Haushalts- und Budgetberatung sowie psychosoziale Betreuung. So wird den Klienten ermöglicht, die Überschuldungssituation tatsächlich aufzuarbeiten und sie nachhaltig zu überwinden", berichtet Siegfried Jürgensen, Vorstandsmitglied der Landesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung e.V. Mecklenburg-Vorpommern.

Die schriftliche Befragung in Mecklenburg Vorpommern erfolgte im Jahr 2007. Insgesamt beteiligten sich 283 überschuldete Personen im Alter von 19-75 Jahren. Sie waren Klienten der Insolvenz- und Schuldnerberatungsstellen in Mecklenburg-Vorpommern. Als häufigsten Grund für die Überschuldung nannten zwei Drittel der Befragten die Arbeitslosigkeit, gefolgt von einem dauerhaft niedrigen Einkommen und Trennung oder Scheidung. Diese Reihenfolge entspricht exakt der Abfolge in Rheinland-Pfalz und ist nicht abhängig vom Geschlecht. Etwa 70 Prozent der Teilnehmer gaben an, derzeit an mindestens einer Erkrankung zu leiden und nahezu 60 Prozent haben sich in den letzten 4 Wochen vor der Befragung aufgrund einer Erkrankung ärztlich behandeln lassen. Als häufigste Beeinträchtigungen wurden mit 35,6 Prozent psychische Erkrankungen genannt, mit kurzem Abstand folgten Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen (31,7 Prozent) sowie Bluthochdruck (30,6 Prozent). "Im Vergleich zur nicht überschuldeten Bevölkerung stellen wir bei Überschuldung damit ein deutlich – in einzelnen Fällen sogar ein mehrfach – größeres Risiko fest, an bestimmten Krankheiten zu leiden. Das ist alarmierend", ordnet Studienleiterin Prof. Dr. Eva Münster, Juniorprofessorin für Sozialmedizin/Public Health am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Mainz, die Ergebnisse der Studie ein.

Zum defizitären Gesundheitszustand der überschuldeten Personen kommt jedoch noch ein weiteres Problem hinzu: Eine ganze Reihe überschuldeter Personen lässt ärztliche Untersuchungen nicht durchführen oder kauft verordnete Medikamente nicht. So vermerkt jeder Zweite der Studienteilnehmer, in den letzten 12 Monaten ein ärztlich verschriebenes Medikament wegen Geldmangels nicht gekauft zu haben. Gut 45 Prozent berichten, in diesem Zeitraum aufgrund ihrer Schuldensituation und der 10-Euro-Selbstbeteiligung einen Arztbesuch unterlassen zu haben.

"Zusammenfassend lautet das Ergebnis für Mecklenburg Vorpommern: Der Gesundheitszustand von dauerhaft zahlungsunfähigen Privatpersonen ist defizitär", so Prof. Dr. Stephan Letzel, Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Mainz. "Wie bei den Ergebnissen für die Stichprobe aus Rheinland-Pfalz liegen auch für Mecklenburg-Vorpommern begründete Hinweise auf zwei kausal gegenläufige Wirkmechanismen vor: 'Überschuldung macht krank' und 'Krankheit führt zur Überschuldung'. Wie die Studie zeigt, handelt es sich bei der Überschuldungsproblematik nicht nur um ein ökonomisches und juristisches Problem der Betroffenen selbst, sondern in erheblichem Ausmaß auch um ein gesundheitliches und soziales, das die Teilhabechancen an gesellschaftlichen Systemen, insbesondere des Gesundheitswesens, stark gefährdet."

"Auf der Grundlage dieser Ergebnisse ist daher auf mehreren Ebenen dringend Handlungsbedarf geboten", so die Forderung von Münster. "Unmittelbar verwirklichen ließe sich in Mecklenburg-Vorpommern erstens eine bessere Aufklärung zur Anspruchsberechtigung für die Härtefallregelung zur Befreiung von Zuzahlungen bei medizinischen Leistungen, zweitens die Sensibilisierung von Ansprechpartnern bei den Krankenversicherungen und öffentlichen Gesundheitsdiensten – beispielsweise bei den Gesundheitsämtern – für die Überschuldungsproblematik und drittens ergänzende Gesundheitsförderungs- und Krankheitspräventionskurse. Mit dem Präventionsprogramm "TrotzSchuldenFit" zur Gesundheitsförderung und Stressprävention wurde am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Mainz mit Förderung durch den Bundesverband der Betriebskrankenkassen und Unterstützung der Team Gesundheit GmbH ein solcher Kurs entwickelt, der durch motivierende Gesundheitsgespräche in der Beratung und spezielle Fortbildung der Schuldner- und Insolvenzberater in deren Arbeit eingebettet werden kann. Dazu muss jedoch eine geregelte Finanzierung des Kursangebots sichergestellt werden. "Gerade die Ergänzung des Angebots der Schuldnerberater könnte eine wichtige Hilfe im Umgang mit dem Gesundheitssystem darstellen und zusätzlich Informationen über gesunde Lebensweisen vermitteln", so die Autoren. "Eine bessere personelle Ausstattung in der Schuldner- und Insolvenzberatung wäre eine Grundvoraussetzung, um in Zukunft Beratungskräfte mit in die Gesundheitsförderung einbeziehen zu können", ergänzt Jürgensen.