Zum Zusammenhang von Armut, Schulden und Gesundheit

Forschungsergebnisse des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin fließen in 3. Armuts- und Reichtumsberichtsentwurf der Bundesregierung ein

29.05.2008

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales legte am 19. Mai 2008 den Entwurf des 3. Armuts- und Reichtumsberichts vor, der seither landesweit für viel Diskussionsstoff gesorgt und dringenden Handlungsbedarf aufgezeigt hat. Kernaussage dieses dritten Berichts in der Reihe der im Jahr 2001 begonnenen komplexen Bestandsaufnahme der sozialen Lage in Deutschland ist, dass eine sozial abgesicherte vollzeitnahe Beschäftigung einen verlässlichen Schlüssel zur Armutsvermeidung darstellt. In seiner Argumentation stützt sich der Berichtsentwurf der Bundesregierung auch auf eine Studie des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. "Diese von uns vorgelegte Studie zeigt am Beispiel von Rheinland-Pfalz zum ersten Mal, dass überschuldete Privatpersonen in Deutschland in den meisten Fällen über einen nur mangelhaften Gesundheitszustand verfügen", erläutert Prof. Dr. Stephan Letzel, Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität Mainz und Leiter der Studie "Armut, Schulden und Gesundheit" (ASG-Studie).

Ein kausaler Zusammenhang zwischen Armut und mangelhaftem Gesundheitszustand ist wissenschaftlich eindeutig belegt; die Erkenntnis, dass dies nicht nur für Länder der Dritten Welt, sondern auch für westliche Industrienationen wie die Bundesrepublik Deutschland zutrifft, setzt sich jedoch erst jetzt langsam in unserem Bewusstsein durch. Die im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erstellte Expertise "Armut, Schulden und Gesundheit" zeigt beispielsweise, dass acht von zehn überschuldeten Personen angaben, derzeit an mindestens einer Erkrankung zu leiden, im Durchschnitt wurden zwei Krankheitsbilder pro Person genannt. Psychische Erkrankungen wie Angstzustände, Depressionen oder Psychosen sowie Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen sind mit jeweils 40 Prozent die häufigsten Beeinträchtigungen. Frauen scheinen von Schilddrüsenproblemen häufiger betroffen zu sein als Männer, die wiederum anfälliger für Sucht- und Abhängigkeitserkrankungen zu sein scheinen.

"Im Vergleich zur nicht überschuldeten Bevölkerung stellen wir bei Überschuldung ein zwei- bis dreifach größeres Risiko fest, an bestimmten Krankheiten zu erkranken", erläutert Prof. Dr. Eva Münster, Juniorprofessorin für Sozialmedizin und Public Health an der Universität Mainz und Leiterin der ASG-Studie. "Eine zusätzliche Belastung ist, dass sich bei etwa der Hälfte der überschuldeten Personen Freunde oder Familie aufgrund der finanziellen Notlage zurückziehen – eine Tatsache, die nach Forschungsergebnissen in 58,7 Prozent der Fälle psychische Erkrankungen begünstigte", so Münster.

Den scheinbaren Widerspruch, dass überschuldete Menschen zwar häufig krank sind, dennoch weniger das Gesundheitssystem in Anspruch nehmen, konnten die Mainzer Wissenschaftler auch auflösen: Die Mehrzahl der überschuldeten Privatpersonen gab an, aus Geldmangel vom Arzt verschriebene Medikamente nicht gekauft zu haben bzw. aufgrund der Schuldensituation gar nicht erst zum Arzt zu gehen.

Diese Ergebnisse gewinnen besondere Brisanz, wenn man bedenkt, dass im Jahr 2006 bundesweit 92.310 Personen die Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens beantragten, ein Anstieg um 33 Prozent im Vergleich zu 2005. Untersuchungen zufolge waren im Jahr 2006 etwa 2,9 Millionen Privathaushalte überschuldet, was 7,3 Prozent aller Privathaushalte in Deutschland gleichkommt, die von extremer Ausgabenarmut betroffen sind.

"Die ASG-Studie legt den eindeutigen Schluss nahe, dass es sich bei der Überschuldungsproblematik nicht ausschließlich um ein ökonomisches oder juristisches Problem der Betroffenen handelt, sondern dass gerade gesundheitliche und soziale Probleme dominieren und eine Einschränkung insbesondere bei der gesundheitlichen Versorgung vorliegt", so das Fazit der Autoren.

Die Datenerhebung für die ASG-Studie erfolgte zwischen Juli 2006 und März 2007 in Kooperation mit 53 Schuldnerberatungsstellen in Rheinland-Pfalz in Form einer schriftlichen Befragung von insgesamt 666 Personen im Alter zwischen 18 und 79 Jahren. Die ASG-Studie wurde vollständig durch das Exzellenzcluster "Gesellschaftliche Abhängigkeit und soziale Netzwerke" des Landes Rheinland-Pfalz finanziert.