Förderpreis an Forscherteam aus Mainz und Mannheim
20.10.2005
Patientinnen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) fügen sich unter Stressbedingungen typischerweise selbst Verletzungen zu und berichten dabei von reduzierten Schmerzen bis zu völliger Schmerzlosigkeit. Diesem Phänomen gingen Forscher um Dr. Wolfgang Greffrath von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und Dr. Christian Schmahl vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim, auf den Grund. Sie fanden heraus, dass die Schmerzentstehung und -weiterleitung bei diesen Patientinnen völlig normal funktioniert und auch, dass die schmerzverarbeitenden Nervenzellen im Gehirn zunächst normal reagieren. "Es muss sich also um einen völlig neuartigen neurobiologischen Mechanismus der Schmerzunterdrückung durch eine aktive Leistung des Gehirns handeln", folgerten die Forscher. Für ihre Arbeit wurden sie mit dem ersten Preis in der Kategorie klinische Forschung des diesjährigen Förderpreises für Schmerzforschung ausgezeichnet, der beim Deutschen Schmerzkongress 2005 der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.V. (DGSS) am Donnerstag, dem 20. Oktober, in Bremen verliehen wurde. Der Preis wird von der Firma Grünenthal gestiftet.
Ziel der Studie war die Charakterisierung des so genannten hypoalgetischen Zustandes, in dem die Patientinnen wenig oder überhaupt keinen Schmerz wahrnehmen, wenn sie sich selbst verletzen. Die Forscher untersuchten BPS-Patientinnen und gesunde weibliche Kontrollpersonen. Allen Versuchspersonen wurden mit einem Infrarot-Laser kurze Hitzereize auf den Handrücken appliziert. Nach der Bestimmung der Wahrnehmungs- und Schmerzschwellen für Laserreize wurden die Hitzereize im Rahmen schwerer und leichter räumlicher Zuordnungsaufgaben sowie während der Ablenkung der Versuchspersonen durch Kopfrechenaufgaben gegeben. Währenddessen wurden mittels Elektroenzephalographie (EEG) Laser-evozierte Hirnpotenziale (LEPs) abgeleitet, um die Verarbeitung der schmerzhaften Reize im Gehirn zu dokumentieren.
Die BPS-Patientinnen wiesen signifikant höhere Wahrnehmungs- und Schmerzschwellen für Laserreize auf. Analog dazu gaben sie eine hochsignifikant verringerte subjektive Schmerzhaftigkeit bei überschwelliger Hitzereizung an. Dennoch waren die Amplituden der unterschiedlichen LEP-Komponenten als objektive Parameter unverändert oder sogar leicht vergrößert. Bei gleicher LEP-Amplitude empfanden die BPS-Patientinnen deutlich weniger Schmerz als Gesunde. Auch die spätere LEP-Komponente P3, ein Maß für die Aufmerksamkeit, unterschied sich zwischen den beiden Gruppen nicht. Obwohl sich die BPS-Patientinnen bei der räumlichen Zuordnung schmerzhafter Reize subjektiv etwas unsicherer fühlten, war die räumliche Diskriminationsleistung objektiv nicht von der Gesunder verschieden.
Somit bestätigt die Studie frühere Befunde einer reduzierten Schmerzwahrnehmung bei Patientinnen mit BPS. Eine generelle Beeinträchtigung der sensorisch-diskriminativen Schmerzverarbeitung konnte jedoch erstmals vollständig ausgeschlossen werden. Die Wissenschaftler folgern, dass das periphere System der Schmerzwahrnehmung sowie die frühe Verarbeitung schmerzhafter Reize im Gehirn bei Patientinnen mit BPS vollständig intakt sein müssen und es sich um einen aktiven Mechanismus der Schmerzunterdrückung durch das Gehirn handelt. "Der Schmerz wird als Ereignis zwar wahrgenommen, aber nicht als schmerzhaft empfunden, das heißt er wird subjektiv anders bewertet", sagte Greffrath. Diese Befunde sind einerseits für das Verstehen der Borderline-Störung von Bedeutung, andererseits erhoffen sich die Forscher vom genaueren Verständnis dieses Phänomens auch mögliche Ansätze für eine Verbesserung der Therapie chronisch gesteigerter Schmerzen.