Gesundheitskommunikation muss in Krisenzeiten an Bedürfnisse unterschiedlicher sozialer Gruppen angepasst werden

Repräsentative Umfrage unter 500 ultraorthodoxen israelischen Erwachsenen während Coronakrise zeigt Beitrag digitaler Medien zu besserem Sicherheitsverhalten mit vermehrter Einhaltung der staatlichen Gesundheitsvorschriften

17.03.2022

Ultraorthodoxe Gemeinschaften in Israel sind stärker von der COVID-19-Pandemie betroffen als andere Teile der Bevölkerung. Dafür werden unterschiedliche Gründe verantwortlich gemacht. Prof. Dr. Yossi David vom Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) untersucht unter anderem, welche Rolle digitale Medien für das Sicherheitsverhalten dieser religiösen Gemeinschaften spielen. Wie eine Studie zeigt, kann die Nutzung der neuen Medien einen signifikanten Beitrag dazu leisten, dass die Gesundheitsrichtlinien der Regierung besser eingehalten werden. Die Studie basiert auf einer repräsentativen Umfrage unter 500 ultraorthodoxen israelischen Erwachsenen während der zweiten COVID-19-Welle im Herbst 2020, also noch bevor Impfungen zur Verfügung standen. "Studienteilnehmer, die bestimmte Webseiten und soziale Medien nutzen, halten sich eher an die Gesundheitsrichtlinien der Regierung, beispielsweise zum Tragen einer Maske. Die digitalen Medien können damit in autoritären Gemeinschaften ein sichereres Verhalten in Krisenzeiten fördern", sagt Prof. Yossi David zu der Erhebung, die er zusammen mit Dr. Baruch Shomron, Postdoc in seiner Arbeitsgruppe, durchgeführt hat. Die Arbeit wurde nun im Fachmagazin New Media & Society veröffentlicht.

Ultraorthodoxe Gemeinschaften haben wesentlich zum Infektionsgeschehen in Israel beigetragen

Die im Jahr 2020 hohe COVID-19-Sterblichkeit in Israel kann teilweise mit der unverhältnismäßig hohen Zahl an positiv getesteten Mitgliedern der ultraorthodoxen Gemeinden erklärt werden: Die Mitglieder ultraorthodoxer Gemeinschaften machen etwa 13 Prozent der Bevölkerung Israels aus, ihr Anteil an den gesamten Coronafällen betrug jedoch zwischen 28 und 37 Prozent. Unter der älteren ultraorthodoxen Bevölkerung der über 60-Jährigen war die Sterblichkeit 2020 aufgrund von COVID-19 sechs Mal so groß wie unter der vergleichbaren älteren Bevölkerung im restlichen Israel. Dafür werden unterschiedliche Gründe in Betracht gezogen. So könnte eine Missachtung staatlicher Coronaregeln ursächlich sein, wie das Verbot zur Teilnahme an Hochzeiten oder Beerdigungen, von anderer Seite wird auf beengte Wohnverhältnisse und einen Mangel an Gesundheitsinformationen hingewiesen.

"Vor diesem Hintergrund interessierte uns, wie die Gefahr, die von hohen Corona-Fallzahlen ausgeht, durch Informations- und Kommunikationstechnologien verringert werden könnte", erklärt Prof. Dr. Yossi David. Moderne Technologien werden in ultraorthodoxen Gruppen weit weniger genutzt als im Rest Israels. Die 1,2 Millionen Mitglieder ultraorthodoxer Gemeinschaften führen ein abgeschottetes Leben, folgen jüdisch-orthodoxen Gesetzen und grenzen sich von westlichen Einflüssen ab. Rabbiner beaufsichtigen viele Aspekte des täglichen Lebens, so auch die Einführung oder Nutzung neuer Technologien. Als Mobiltelefone im Alltag immer mehr Verbreitung fanden, genehmigten rabbinische Komitees schließlich auch sogenannte koschere Geräte, mit denen man zwar telefonieren kann, die aber keine weiteren Funktionen wie Textnachrichten oder Internetzugang bieten. Auch die traditionellen Medien – Printmedien und Radio – werden von Rabbinern überwacht und folgen ultraorthodoxen Regeln. Online-Nachrichtenseiten sind verboten.

Nur 47 Prozent der Studienteilnehmer verfügten zu Hause über Internetzugang

Die Studie von Israel-Professor Yossi David und Baruch Shomron basiert auf einer Umfrage unter 500 jüdisch-ultraorthodoxen Israelis auf dem Höhepunkt der Coronakrise im November 2020. Teilgenommen haben jeweils zur Hälfte Männer und Frauen, das Durchschnittsalter betrug 40 Jahre. Die Interviews wurden von dem Meinungsforschungsinstitut Askaria durchgeführt, das auf Umfragen unter der ultraorthodoxen Gemeinschaft in Israel spezialisiert ist.

Die Ergebnisse zeigen zunächst, dass Frauen den staatlichen Gesundheitsvorschriften, wie etwa das Tragen einer Mund-Nasen-Maske, Einhaltung von Abstandsregeln oder Hygienemaßnahmen, eher folgten als Männer. Außerdem stieg die Akzeptanz der Coronaregeln mit dem Alter, während kein Zusammenhang mit dem sozioökonomischen Status oder dem Bildungsgrad zu finden war. Digitale Medien wurden unterschiedlich genutzt: Fast alle Befragten, nämlich 99 Prozent, besaßen ein Mobiltelefon, aber 419 Personen beziehungsweise 84 Prozent gaben an, dass sie nur ein "koscheres" Gerät verwenden. Nur 47 Prozent der Befragten verfügten zu Hause über einen Internetzugang – ein Befund, der sich mit Daten des israelischen Zentralbüros für Statistik deckt. Nachrichten-Websites wurden von 20 Prozent genutzt, lediglich 8 Prozent lasen die israelischen Mainstream-Nachrichten-Seiten. 13 Prozent nutzten soziale Medien.

Bei der Untersuchung, ob die Nutzung digitaler Medien etwas über die Akzeptanz der staatlichen Gesundheitsvorschriften aussagen kann, ergab sich folgendes Bild: Ultraorthodoxe Personen, die das Internet häufig entweder zu Studienzwecken oder für essenzielle Websites und Apps – etwa für Online-Bankgeschäfte – verwendeten, hielten sich eher an die Coronamaßnahmen. Die Nutzung des Internets für die Arbeit, E-Mail, Onlineshopping oder andere Zwecke hatte dagegen keinen derartigen Effekt. Außerdem ergab die Studie, dass Umfrageteilnehmer, die soziale Medien nutzten, die Coronaregeln mit größerer Wahrscheinlichkeit befolgten als Teilnehmer, die nicht in den sozialen Medien unterwegs waren. Schließich stellten die beiden Kommunikationsforscher David und Shomron fest, dass die Lektüre von israelischen Mainstream-Onlinemedien dazu beitrug, dass die Gesundheitsrichtlinien der Regierung besser eingehalten wurden – spezielle ultraorthodoxe Websites leisteten dies nicht.

Gesundheitskommunikation muss an Bedürfnisse der Bevölkerung angepasst werden

"Die Gesundheitskommunikation muss an die Bedürfnisse aller Bevölkerungsgruppen, an ihre Mediengewohnheiten und kulturellen Überzeugungen angepasst sein", so die Schlussfolgerung von Yossi David und Baruch Shomron. "Die digitalen Medien könnten in Zeiten nationaler und internationaler Notlagen als ein effektives Mittel zur Kommunikation mit autoritären und abgeschotteten Gemeinschaften dienen, auch mit Kreisen, die Wissenschaft ablehnen und Verschwörungstheorien verbreiten, mit extrem rechten Gruppierungen und konservativen, abgeschirmten religiösen Gruppen."

Kommunikationsforscher Yossi David hat seit Oktober 2018 die Israel-Professur der Johannes Gutenberg-Universität Mainz inne, die am Institut für Publizistik eingerichtet wurde. Bevor David als erster "Israel Professor in Communication Science" nach Mainz kam, arbeitete er im Bereich politische Kommunikation und empirische Methoden an der Hebrew University in Jerusalem.