Neue Studie könnte zur Entwicklung neuer Behandlungsmethoden bei Herzinfarkt, Schlaganfall und Krebs beitragen
09.11.2015
Wissenschaftler am Institut für Molekulare Biologie (IMB) haben erstmals die dramatischen Veränderungen der DNA in Zellen beobachtet, die nicht genug Sauerstoff und Nährstoffe erhalten. Dieser "ausgehungerte" Zustand ist typisch für einige der häufigsten Krankheiten wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Krebs. Die Forschungsergebnisse einer aktuellen Studie liefern nun neue Einblicke darüber, welche Schäden diese Krankheiten verursachen, und könnten zur Entwicklung neuer Behandlungsmethoden beitragen.
Wenn ein Mensch einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall erleidet, wird die Blutzufuhr zu einem Teil seines Herzens oder Gehirns unterbrochen. Entsprechend kommt es zu einer Unterversorgung der dortigen Zellen mit Sauerstoff und Nährstoffen. Dieser Zustand der Mangeldurchblutung, der auch als Ischämie bezeichnet wird, kann zu langfristigen und irreparablen Schäden führen. Ina Kirmes, Doktorandin in der Gruppe von Dr. George Reid am IMB, hat untersucht, was genau mit der DNA in diesen Zellen passiert, die von der Sauerstoff- und Nährstoffversorgung abgeschnitten sind.
In einer gesunden Zelle sind große Teile der DNA offen zugänglich, sodass Gene einfach abgelesen werden können. Forscher am IMB konnten jetzt zeigen, dass sich während einer Ischämie die Anordnung der DNA dramatisch verändert: Die DNA verdichtet sich. Die Gene in solchen kompakten Regionen können von der Zelle nicht mehr ausgelesen werden, ihre Aktivität ist damit stark reduziert. Falls die Blutversorgung nicht wieder hergestellt wird, fährt die Zelle schließlich ihren Betrieb herunter oder stirbt sogar. Wenn beispielsweise die Zellen im Herzen eines Menschen nicht mehr richtig funktionieren, hört dieser Teil des Herzmuskels auf, sich zusammenzuziehen, und das Herz versagt. Ganz ähnlich verhält es sich im Gehirn: Ist die Blutzufuhr zu Zellen unterbrochen und damit auch die Zufuhr von Nährstoffen, so sterben die Nervenzellen ab.
"Bei einem Schlaganfall oder bei einem Herzinfarkt passiert wahrscheinlich genau dies mit der DNA", erklärt Dr. George Reid. "Da wir jetzt wissen, was in der Zelle geschieht, können wir nach Wegen suchen, dieser Verdichtung der DNA vorzubeugen."
Der Schlüssel zu dieser Entdeckung war eine enge Zusammenarbeit mit Aleksander Szczurek, gemeinsam mit Ina Kirmes Erstautor der Studie, der in der Gruppe von Prof. Dr. Christoph Cremer am IMB tätig ist. Die beteiligten Forscherinnen und Forscher nutzten eine neue Methode, mit der die DNA in der Zelle in bisher unerreichter Genauigkeit dargestellt werden kann, eine Weiterentwicklung der superauflösenden Lichtmikroskopie. Hierbei werden blinkende Farbstoffe eingesetzt, die an die DNA binden und es so den Forschern ermöglichen, die Lage von einzelnen Molekülen in Zellen nachzuverfolgen. Diese neue Technologie wurde in einem gesonderten Aufsatz beschrieben, der Anfang September 2015 im Journal Experimental Cell Research veröffentlicht wurde.
Das Institut für Molekulare Biologie gGmbH
Das Institut für Molekulare Biologie gGmbH (IMB) ist ein Exzellenzzentrum der Lebenswissenschaften, das 2011 gegründet wurde. Die Forschung am IMB konzentriert sich auf drei topaktuelle Gebiete: Epigenetik, Entwicklungsbiologie und Genomstabilität. Das Institut ist ein Paradebeispiel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Einrichtungen und einer privaten Stiftung. Die Boehringer Ingelheim Stiftung hat 100 Millionen Euro für einen Zeitraum von 10 Jahren bereitgestellt, um die laufenden Kosten für die Forschung am IMB zu decken, das Land Rheinland-Pfalz noch einmal rund 50 Millionen Euro für den Bau des hochmodernen Forschungsgebäudes.
Die Boehringer Ingelheim Stiftung
Die Boehringer Ingelheim Stiftung ist eine rechtlich selbstständige, gemeinnützige Stiftung und fördert die medizinische, biologische, chemische und pharmazeutische Wissenschaft. Errichtet wurde sie 1977 von Hubertus Liebrecht, einem Mitglied der Gesellschafterfamilie des Unternehmens Boehringer Ingelheim. Mit ihrem Perspektiven-Programm "Plus 3" und den "Exploration Grants" für selbstständige Nachwuchswissenschaftler fördert die Stiftung bundesweit exzellente unabhängige Nachwuchsforschergruppen. Sie dotiert den internationalen Heinrich-Wieland-Preis sowie Preise für Nachwuchswissenschaftler. Die Boehringer Ingelheim Stiftung fördert für zehn Jahre den wissenschaftlichen Betrieb des 2011 eingeweihten Instituts für Molekulare Biologie (IMB) an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) mit 100 Millionen Euro. Seit 2013 fördert sie ebenfalls über zehn Jahre die Lebenswissenschaften an der JGU mit insgesamt 50 Millionen Euro.