Hochpräzise Messung der Zerfallsenergie von Holmium-163 ebnet Weg zur Bestimmung der Neutrinomasse

Mainzer Wissenschaftler an ECHo-Kollaboration beteiligt / Publikation in Physical Review Letters

10.08.2015

Um herauszufinden, wie schwer Neutrinos sind, werden radioaktive Zerfälle untersucht, bei denen auch Neutrinos emittiert werden. Die Neutrinomasse wird dabei mithilfe einer hochpräzisen Vermessung des Zerfallsenergiespektrums bei gleichzeitig genauer Kenntnis der Massendifferenz von Mutter- und Tochterkernen ermittelt. Einem Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist es nun gelungen, ein mehrere Jahrzehnte währendes Rätsel der Zerfallsenergie des künstlichen Holmiumisotops mit der Massenzahl 163 zu lösen. Es zerfällt durch Elektroneneinfang ins stabile Isotop Dysprosium-163 und scheint besonders gut geeignet zu sein für die Bestimmung der Neutrinomasse. Die Forscher haben reine Proben von Holmium-163 und Dysprosium-163 hergestellt und die Massendifferenz mit hoher Genauigkeit mit dem Penningfallen-Spektrometer SHIPTRAP gemessen. Die Ergebnisse sind kürzlich in der Fachzeitschrift Physical Review Letters erschienen.

Neutrinos sind überall. Hundert Billionen Neutrinos durchströmen den menschlichen Körper in jeder Sekunde, aber eine ihrer fundamentalsten Eigenschaften, ihre Masse, ist noch immer unbekannt. Während das Standardmodell der Teilchenphysik Neutrinos nur als masselos beschreiben kann, belegen Beobachtungen, dass Neutrinos eine winzige Masse haben müssen. Mit der Untersuchung der Neutrinomasse erforschen Wissenschaftler also Physik jenseits des sonst so erfolgreichen Standardmodells. Bis heute konnten nur obere Grenzen der Neutrinomasse bestimmt werden, die bestätigten, dass diese Masse sehr klein ist. Dies macht eine direkte Massenmessung zu einer herausfordernden Aufgabe. Die präzise Vermessung des radioaktiven Beta-Zerfalls oder des Elektroneneinfangs ist dabei einer der vielversprechendsten Ansätze. Zwar sind die flüchtigen Neutrinos nicht direkt nachzuweisen, allerdings sämtliche restliche beim Zerfall freigesetzte Strahlung. Deshalb kann durch einen Vergleich der Summe der Energie aller nachweisbaren Strahlung mit der maximal zur Verfügung stehenden Energie des Zerfalls die Neutrinomasse direkt bestimmt werden.

Das künstliche Holmiumisotop mit der Massenzahl 163 steht im Fokus mehrerer großer Kollaborationen. Diese planen, die Neutrinomasse aus Messungen der Energie zu bestimmen, die beim Elektroneneinfang von Holmium-163 ins stabile Dysprosium-163 frei wird. Derzeit ist dabei die von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg aus geleitete ECHo-Kollaboration führend. Die Bestimmung der Neutrinomasse bedingt eine vorgängige präzise Bestimmung der Zerfallsenergie von Holmium-163. In den letzten Jahrzehnten wurden dafür Werte veröffentlicht, die in einem breiten Bereich von 2.400 bis 2.900 Elektronenvolt (eV) liegen, die aber alle aus indirekten Messungen mit unterschiedlichen Methoden stammen. Der in Datentabellen empfohlene Wert rangiert am unteren Ende der Skala. Neuere Resultate liegen jedoch einige 100 Elektronenvolt höher als dieser empfohlene Wert, sodass dieser angezweifelt werden muss.

Da Albert Einsteins berühmte Gleichung E=mc2 die für den Zerfall zur Verfügung stehende Energie mit der Masse der beteiligten Atome verbindet, kann eine hochpräzise Wiegung der beteiligten Atome das Rätsel lösen. Dazu hat sich eine Gruppe aus Physikern, Chemikern und Ingenieuren aus Deutschland, Russland, der Schweiz und Frankreich in der ECHo-Kollaboration zusammengefunden: Während das stabile Dysprosium-163 in der Natur vorkommt, mussten Proben von Holmium-163 erst aus natürlich vorkommendem Erbium durch intensive Neutronenbestrahlung im Hochflussreaktor im Institut Laue-Langevin in Grenoble in Frankreich hergestellt werden. Die Reinigung und Weiterverarbeitung dieser Proben wurde im Paul Scherrer Institut in Villigen in der Schweiz sowie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) durchgeführt.

"Um die Massendifferenz von Holmium und Dysprosium zu bestimmen, haben wir die Frequenzen der Kreisbewegungen ihrer Ionen im starken Magnetfeld der Ionenfalle SHIPTRAP am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt gemessen. Dabei wurde die neue Technik der phasenabbildenden Ionen-Zyklotron-Resonanz-Methode angewendet, die Messungen mit höchster Genauigkeit erlaubt", erklärt Dr. Sergey Eliseev vom Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) in Heidelberg. "Diese Kreisbewegung wird auf einen positionssensitiven Detektor projiziert, sodass selbst kleinste Massenunterschiede schneller und genauer bestimmt werden können als mit bisherigen Methoden." Die Frequenzen von Holmium-163 und Dysprosium-163 wurden dabei abwechselnd in Intervallen von fünf Minuten mehrere Tage lang gemessen.

Aus den Messdaten erhielten die Forscher einen endgültigen Wert der Zerfallsenergie von 2.833 Elektronenvolt mit einer Unsicherheit von nur wenigen zehn Elektronenvolt. Das bestätigt neuere Ergebnisse und den von der ECHo-Kollaboration vorgeschlagenen Ansatz zur Neutrinomassenbestimmung. "Die erste Phase des ECHo-Experiments, ECHo-1K, wurde kürzlich als Forschergruppe 2202: 'Neutrino Mass Determination by Electron Capture in Holmium-163' in die Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) aufgenommen. In dieser Phase werden wir eine Empfindlichkeit von unter 10 eV/c2 für die Neutrinomasse erreichen, was mehr als einen Faktor zehn unter der jetzigen Obergrenze ist, die in Zerfallsexperimenten mithilfe von Holmium-163 bestimmt wurde", erklärt ECHo-Sprecherin Dr. Loredana Gastaldo von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

Innerhalb der ECHo-Kollaboration ist die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Christoph E. Düllmann vom Institut für Kernchemie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zusammen mit Wissenschaftlern am Forschungsreaktor TRIGA der JGU für die Produktion und Präparation der dafür notwendigen Vorräte von Holmium-163 verantwortlich. "Die erfolgreiche Produktion der Proben für diese Messungen sind ein wichtiger Schritt hin zur Probenpräparation für eine empfindliche Messung der Neutrinomasse", so Düllmann. "Dafür werden wir als weiteren Reinigungsschritt gemeinsam mit der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Klaus Wendt vom Institut für Physik der JGU eine physikalische Separation im Mainzer RISIKO-Separator durchführen, um so hochreine Proben zur Verfügung stellen zu können, ohne die die Messungen nicht möglich wären."