Bundesweit einzigartige Einrichtung für Patienten mit kognitiven Einschränkungen oder Demenz
09.10.2013
In Deutschland gibt es derzeit rund 1,3 Millionen Menschen mit Demenzerkrankung. Jährlich wächst die Anzahl der Betroffenen um rund 250.000. Demenz ist eine Erkrankung, die für das Leben jedes Betroffenen und seiner Angehörigen einschneidend ist. Erleidet der Erkrankte zudem eine weitere Erkrankung und muss im Krankenhaus stationär versorgt werden, z.B. aufgrund eines Oberschenkelhalsbruchs, ist der Patientenversorgungsprozess besonders anspruchsvoll. Um diesen besonderen Versorgungsbedarf gerecht zu werden, bietet die Universitätsmedizin Mainz mit der neuen Servicestelle Demenz ein besonderes und bundesweit einzigartiges Leistungsangebot für Patienten mit kognitiven Einschränkungen oder Demenz. Unter dem Motto "Betreuung, Begleitung und Beschäftigung" ermöglichen geschulte zusätzliche Kräfte, dass betroffene Patienten vor Ort individuelle Hilfe erhalten, beispielsweise einen persönlichen Begleitdienst. Der Leistungskatalog der Servicestelle beinhaltet zudem gezielte Schulungen und Beratungen für Pflegekräfte. Bei der Servicestelle Demenz handelt es sich derzeit um ein Modellprojekt. Insgesamt zehn Modellstationen aus fünf verschiedenen Fachkliniken und Behandlungszentren der Universitätsmedizin Mainz sind daran beteiligt.
Neben der existenziellen Bedeutung des Schicksals einer Demenzentwicklung stellt die Erkrankung Betroffene und ihr soziales Umfeld vor große Herausforderungen. Auch für die ambulanten und stationären medizinischen Versorgungsysteme sowie für die Gesellschaft insgesamt resultieren besondere Aufgaben. Mit dem Ziel, die pflegerische und medizinische Versorgungsqualität durch ein breites Serviceangebot für Patienten mit Demenz zu verbessern, hat die Universitätsmedizin Mainz als Modellprojekt die Servicestelle Demenz, angesiedelt beim Pflegevorstand, eingerichtet. Sie bietet für Patienten mit Gedächtnis- und Orientierungsstörungen einen persönlichen Begleitdienst zu Untersuchungen innerhalb der Klinik und unterstützt die Patienten sowie deren Angehörige bei den organisatorischen Angelegenheiten des Krankenhausaufenthalts. Zudem sollen die Betroffenen bestmöglich gefördert werden, damit sie aktiv an ihrem Genesungsprozess teilnehmen. Eine weitere zentrale Aufgabe besteht darin, neue Lösungsansätze für die Behandlung, Betreuung und Begleitung von kognitiv beeinträchtigten Patienten zu entwickeln und diese allen daran beteiligten Beschäftigten der Universitätsmedizin Mainz beispielsweise durch gezielte Schulungen zu vermitteln.
Mit der steigenden Zahl älterer Patienten nimmt auch in der Universitätsmedizin Mainz der Anteil derjenigen Patienten zu, die kognitive Einschränkungen bis hin zur Demenz aufweisen. Für Demenzkranke kann ein Krankenhausaufhalt aufgrund der unbekannten Umgebung mit fremden Menschen, ungewohnten Abläufen und Anforderungen eine verstörende und beängstigende Situation sein kann, auf die die Patienten häufig mit Unruhe, Abwehr oder andere herausfordernde Verhaltensweisen reagieren. Daher ist auch aus Sicht der Pflegenden die Servicestelle Demenz und ihre Arbeit von Vorteil, denn es hat sich gezeigt, dass bereits das Wissen um die besondere Situation der Patienten für alle Beteiligten hilfreich ist. Wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die relevanten kognitiven Einschränkungen frühzeitig erkennen und wissen, wie sie professionell damit umgehen, können sie die aufwendigere Arbeitssituation besser meistern. "Die pflegerische Versorgung von Patienten mit Demenz im Krankenhaus verlangt allen Mitarbeitern viel ab. Mit dem Serviceangebot der Servicestelle Demenz wollen wir hierbei unterstützen. Uns ist es wichtig, dass die Patienten und Pflegenden dabei unmittelbare und direkte Hilfe erhalten", betont Evelyn Möhlenkamp, Pflegevorstand der Universitätsmedizin Mainz.
Prof. Dr. Andreas Fellgiebel, Leitender Oberarzt sowie Leiter der Demenzforschung und medizinischen Demenzversorgung an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz, erläutert: "Wir möchten mit unserer Servicestelle auch für die Problematik 'Demenz im Krankenhaus' sensibilisieren und zur Entstigmatisierung des Krankheitsbilds in Medizin und Gesellschaft beitragen."
Konservativen Schätzungen zufolge sind mindestens zwölf Prozent der älteren Patienten in der stationären Krankenhausbehandlung von einer Demenz betroffen. Laut den Einweisungsdiagnosen ist der Krankenhausaufenthalt in der Regel allerdings durch andere körperliche Erkrankungen bedingt und nicht durch die Demenzerkrankung selbst. "Häufig waren demenzbedingte Probleme und Einschränkungen schon vor dem Krankenhausaufenthalt eines Patienten offenkundig, trotzdem wurde die Diagnose Demenz nicht gestellt. Und bei vordiagnostizierter Demenz wird die Demenzdiagnose bei der stationären Aufnahme oft nicht mitgeteilt. Beides hat sicherlich auch etwas mit der immer noch bestehenden Stigmatisierung der Erkrankung zu tun. Wir stehen dann vor dem Problem, dass der zusätzliche Unterstützungsbedarf des Patienten zu Beginn der stationären Behandlung unterschätzt wird. Das wiederum führt zu Überforderung sowohl des Patienten als auch des Behandlungsteams. Pflegende und Ärzte kommen schneller an ihre Grenzen, Aufwand und Kosten steigen", ergänzt Fellgiebel.
Bei der Servicestelle Demenz handelt es sich um ein Modellprojekt, an dem zehn Stationen aus fünf verschiedenen Kliniken und Zentren der Universitätsmedizin Mainz beteiligt sind. Derzeit sind es die Augenklinik und Poliklinik, die Klinik und Poliklinik für Neurologie, das Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, die Urologische Klinik und Poliklinik sowie die I. Medizinische Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz. Der Ablauf des Modellprojekts sieht vor, dass alle Patienten, die 70 Jahre oder älter sind, bei Aufnahme in eine der beteiligten Stationen gebeten werden, an einem kurzen Testverfahren teilzunehmen.
Eva Quack, Leiterin der Servicestelle Demenz, berichtet: "Erste Erfahrungen zeigen ganz deutlich, dass die unterstützenden Leistungen der Servicestelle Patienten und Pflegende auf den Modellstationen entlastet. Für die Patienten ist die Möglichkeit, eine weitere Bezugsperson während des Krankenhausaufenthalts an ihrer Seite zu haben und daher mehr Besuch zu bekommen, ein positiver Aspekt. Insgesamt merken wir, dass wir mit dem Angebot der Servicestelle Demenz eine Lücke im Patientenversorgungsprozess schließen."
Das Modellprojekt "Servicestelle Demenz" ist zunächst auf zwei Jahre angelegt und wird durch das rheinland-pfälzische Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie über diesen Zeitraum mit insgesamt 53.000 Euro gefördert. Über eine entsprechende Begleitforschung wird das Projekt wissenschaftlich evaluiert. Nach positiver Evaluation des Modellprojekts sollen die Leistungen der Servicestelle Demenz auf die gesamte Universitätsmedizin Mainz ausgeweitet werden.
Demenz ist ein Oberbegriff für zahlreiche neurodegenerative Erkrankungen. Normale Alterserscheinungen führen nicht notwendigerweise zur Demenz als unabänderliches Schicksal. Unter Demenz versteht man einen Zustand andauernder und häufig auch fortschreitender geistiger Leistungsschwäche, die zu einer deutlichen Beeinträchtigung selbstständiger Lebensführung im Alter führt. Mit der steigenden Lebenserwartung steigt das Risiko einer Demenzerkrankung deutlich: haben bei den 60-65-Jährigen nur etwa zwei Prozent eine Demenz, so ist die Wahrscheinlichkeit für Menschen jenseits des 80. Lebensjahrs schon 20 Prozent, an einer Demenz zu erkranken. Das Risiko, in dem Jahr vor dem Tod an einer Demenz erkrankt zu sein, beträgt in der heutigen Bevölkerung sogar 30 Prozent.