Risiko für Übergewicht und Fettleibigkeit ist bei überschuldeten Menschen erhöht - Problem könnte durch Finanzkrise noch verschärft werden
07.08.2009
Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz haben einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Überschuldung und Fettleibigkeit festgestellt. Wie sie in dem Fachjournal BMC Public Health schreiben, haben überschuldete Menschen in Deutschland ein höheres Risiko, übergewichtig oder fettleibig zu sein, als der Bevölkerungsdurchschnitt. Die Forscher machen dafür die hohen Preise für gesunde Nahrungsmittel, fehlendes Wissen über preisgünstige, aber dennoch gesunde Ernährung und vor allem die psychisch sowie sozial belastende Situation der überschuldeten Bürgerinnen und Bürger mitverantwortlich, die zu einer Neigung der betroffenen Personen zum "Trost-Essen" sowie körperlicher Inaktivität führen kann. Da die Ursachen-Wirkungs-Beziehung mit dem Studiendesign einer einmaligen Befragung nicht nachgewiesen werden kann, diskutieren die Wissenschaftler ebenso, ob Fettleibige eventuell eher ihren Arbeitsplatz verlieren und somit in die Überschuldungsfalle geraten könnten. Schließlich ist die Arbeitslosigkeit der häufigste Grund für eine Überschuldungssituation beziehungsweise Zahlungsunfähigkeit.
Prof. Dr. Eva Münster vom Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin hat mit ihrem Team, gefördert durch das Exzellenzcluster "Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke" des Landes Rheinland-Pfalz, die Daten von insgesamt über 9000 Personen ausgewertet. Eine schriftliche Umfrage des Instituts unter 949 überschuldeten Menschen ergab, dass 25 Prozent fettleibig waren im Vergleich zu 11 Prozent unter 8318 Probanden aus der Durchschnittsbevölkerung von Deutschland, die das Robert Koch-Institut in seinem telefonischen Gesundheitssurvey 2003 befragt hatte. "Die aktuelle Finanzkrise wird sich auf die privaten Haushalte auch in gesundheitlicher Hinsicht auswirken und das Problem eventuell sogar noch verschärfen", meint Münster. Die Public-Health-Expertin weist gleichzeitig darauf hin, dass dies auf keinen Fall zu einer Stigmatisierung der betroffenen Bevölkerungsgruppe führen dürfe, sondern als ein gesellschaftliches Problem aufgegriffen werden müsse.
Normalerweise werden meistens Einkommen, Bildung und Beschäftigungsverhältnis zur Darstellung des sozioökonomischen Status verwendet - ein Einflussfaktor, der bereits in vieler Hinsicht untersucht wurde und mit dem Krankheitsstatus eines Menschen in Verbindung steht. Die Überschuldungssituation, dass nämlich der Schuldenberg nicht mehr bewältig werden kann, dagegen wird üblicherweise nicht in der Forschung berücksichtigt - und dies, obwohl alleine in Deutschland schätzungsweise drei bis knapp vier Millionen Privathaushalte überschuldet sind. "Wir haben hier gezeigt, dass die Überschuldung einer Privatperson mit der Wahrscheinlichkeit von Übergewicht und Fettleibigkeit, also Adipositas, einhergeht und zwar unabhängig von den anderen genannten sozioökonomischen Faktoren."
Wie die Wissenschaftler ausführen, können sich Schulden auf die Risikofaktoren für chronische Erkrankungen auswirken, beispielsweise indem weniger Freizeitaktivitäten stattfinden und die Teilnahme an sozialen Ereignissen reduziert wird. Auch die Qualität der Ernährung kann unter der Schuldensituation leiden. "Energiereiche Nahrungsmittel wie Süßigkeiten oder fettige Snacks sind meistens billiger als Nahrungsmittel mit geringerem Energiegehalt, etwa Früchte oder Gemüse." Münster merkt an, dass von der Überschuldungssituation sämtliche Haushaltsmitglieder betroffen sind, auch Kinder. Angesichts dieser Befunde schlägt die Expertin vor, eine Niedrigpreiskampagne für gesunde Lebensmittel zu starten. Nötig wären außerdem weitere Studien, insbesondere Langzeitstudien, um eindeutige Aussagen über Ursache und Wirkung zu erhalten.
Die Überschuldung von Privatpersonen ist nicht nur ein finanzielles und juristisches Problem, sondern auch ein soziales und - wie nun gezeigt werden konnte - ein gesundheitliches Problem. "Die überschuldeten Bürgerinnen und Bürger und deren Familien brauchen zielgruppenspezifische Gesundheitsförderung und Prävention. Hier sind die Öffentliche Gesundheitspflege, also Bundes- und Landesministerien sowie Kommunen, und die Krankenkassen gefordert", so Münster.