20 Jahre Mainzer Mikrotron

Inbetriebnahme der vierten Beschleunigerstufe steht bevor

18.10.2005

Der Elektronenbeschleuniger der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), das Mainzer Mikrotron (MAMI), steht seit 20 Jahren für Spitzenforschung in der Kern- und Teilchenphysik auf höchstem internationalen Niveau. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt kommen nach Mainz, um am MAMI zum Aufbau der kleinsten Teilchen unserer Materie zu experimentieren. Die Experimente liefern vor allem Grundlagenwissen über den Aufbau unserer Materie, besonders der Protonen und Neutronen. Sie sind aber auch für Anwendungen etwa in der Röntgentechnik oder in der Magnetresonanztomographie mit Helium-3 nutzbar. Die unterirdische Forschungsanlage etwa zehn Meter tief unter die Erde besteht aus einer weltweit einzigartigen Kaskade von Rennbahn-Mikrotronen. Hierbei wird der Elektronenstrahl durch wiederholte Ablenkung mithilfe von Magneten immer wieder durch die gleiche Linearbeschleunigerstruktur geführt. Dadurch gewinnen die Elektronen beständig an Energie. Das besondere Merkmal von MAMI ist die außerordentlich hohe Qualität des erzeugten Elektronenstrahls. Der Elektronenbeschleuniger mit einer Energie von maximal 850 Megaelektronenvolt (MeV) betrieben. "Damit können wir nur Teilchen wie Nukleonen oder Pionen, aber keine Quarks sehen", erläutert Prof. Dr. Thomas Walcher, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Kernphysik der JGU. "Der Strahl ist allerdings sehr intensiv und erlaubt extrem genaue Messungen."

Am Ende seiner Bahn trifft der Elektronenstrahl auf den Gegenstand der kernphysikalischen Forschung, den Atomkern. Er besteht aus Nukleonen, die als Protonen oder Neutronen vorliegen können und die selbst wiederum aus noch kleineren Quarks aufgebaut sind. Quarks werden als punktförmig angenommen und gelten als unteilbar, somit als elementare Bausteine. "Wir können hier Protonen oder Neutronen besonders gut als ganze Teilchen untersuchen und dann Rückschlüsse auf die vorhandenen Quarks ziehen", erläutert Walcher. Prallt nun ein Elektron auf den Atomkern, so kann das Ergebnis der Kollision gemessen werden. Hierfür steht eine Anlage aus drei magnetischen Spektrometern zur Verfügung. Damit können gleichzeitig drei geladene Reaktionsprodukte hochpräzise nachgewiesen werden, was weltweit einmalig ist. Jedes der drei Spektrometer ist etwa 300 Tonnen schwer, das größte ist 13 Meter hoch.

Die Experimente am Mainzer Mikrotron lassen die Forscherinnen und Forscher tief in das Innerste der Atome blicken und lieferten international beachtete Ergebnisse. Zu den Meilensteinen im 20-jährigen Bestehen des MAMI gehören neue Aussagen über die Ladungsverteilung – innen positiv und außen negativ – bei Neutronen. "Das konnten wir am MAMI als Erste mit einer befriedigenden Genauigkeit messen", resümiert Walcher. "Mit unseren Experimenten auf diesem Gebiet sind wir weltweit führend." Der Konkurrenz ebenfalls um einige Nasenlängen voraus waren die MAMI-Wissenschaftler bei der Untersuchung von Pionen, leichten Teilchen, die aus zwei Quarks aufgebaut sind. Mit der Messung der Kräfte, die zwischen den beiden Quarks wirken, betraten die Kernphysiker experimentelles Neuland. Auch bei der Erforschung des Atomkerns konnte in Mainz erstmals die Korrelation von Nukleonen im Kern mit großer Genauigkeit festgestellt werden.

Zeichen des Erfolgs sind zahlreiche Veröffentlichungen in renommierten Fachzeitschriften, vor allem aber die positive Beurteilung und anhaltende finanzielle Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Selten richtet die DFG zwei Sonderforschungsbereiche (SFB) hintereinander wie am Institut für Kernphysik der JGU mit einer Laufzeit von insgesamt 26 Jahren ein. Der aktuelle SFB "Vielkörperstruktur stark wechselwirkender Systeme" brachte beispielsweise in den ersten beiden Förderperioden von 1999 bis 2004 rund 200 Publikationen in international führenden Zeitschriften hervor.

Die grundlegenden Pfeiler des Erfolgs sind die hervorragende Ausstattung der Anlage mit Investitionen von rund 100 Millionen Euro aus vorwiegend öffentlicher Hand in die ersten drei Ausbaustufen, die enge Kooperation und Zusammenarbeit mit anderen Instituten der Universität und Forschungseinrichtungen im In- und Ausland sowie der hohe persönliche Einsatz und die Integration einer Vielzahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie externen Gästen – vom Studierenden über den Techniker bis zur Professorin. "MAMI läuft über 6.500 Stunden im Jahr, also 75 Prozent der Stunden eines Jahres. Das ist eine außerordentliche Effizienz und nur mit hohem Arbeitseinsatz zu bewerkstelligen", so der Geschäftsführende Direktor des Instituts.

Nun erhält das Mainzer Mikrotron für rund 15 Millionen Euro eine neue Beschleunigerstufe. Ende 2005 wird diese vierte Stufe, MAMI C, den Betrieb aufnehmen und den Elektronenstrahl auf eine Energie von 1.500 MeV bringen. Dazu wird in einem doppelseitigen Mikrotron der Elektronenstrahl durch zwei parallel angeordnete Linearbeschleuniger geschickt. Die Umlenkung des Strahls erfolgt durch zwei Magnetpaare. Für die Kernphysiker in Mainz bricht damit ein neues Forschungszeitalter an. "MAMI C eröffnet uns neue Perspektiven für die kommenden zehn Jahre", so Walcher. Damit können ganz andere Teilchensorten untersucht werden: andere Mesonen und Baryonen, Strange-Teilchen, Hyperonen, Kaonen und Eta-Teilchen. Parallel dazu soll in der theoretischen Physik eine neue Art von Model, die Gittereichtheorie, etabliert werden. "Es gelingt uns heute ganz gut, immer tiefer in die Materie vorzudringen und sie bis in die kleinsten Teilchen zu verstehen. Umgekehrt aber schaffen wir es nicht, aus den einfachsten Gesetzen eine Synthese zu bilden. Wir wissen also nicht, wie man aus den einfachen Bausteinen und Kräften komplexe Systeme erzeugt. Hier liegt die zukünftige Herausforderung."