Atomkern von Beryllium ist mit Halo dreimal so groß wie normal
16.02.2009
Atomkerne sind normalerweise kompakte Gebilde, die durch einen sehr scharfen Rand begrenzt werden. Dass es davon auch Ausnahmen gibt, wurde vor rund 25 Jahren erstmals im kalifornischen Berkeley entdeckt: Einige exotische Atomkerne besitzen Teilchen, die aus dem zentralen Verbund ausscheren und eine Wolke bilden. Die legt sich wie ein Heiligenschein oder Halo um den Rumpfkern herum. Ein solcher Halo findet sich beispielsweise bei Beryllium-11, einem speziellen Isotop des Metalls Beryllium. In diesem Fall wird der Halo von einem einzelnen Neutron gebildet. Wissenschaftlern am Institut für Kernchemie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ist es nun erstmals gelungen, diesen Ein-Neutron-Halo mithilfe eines Lasers präzise zu vermessen und die Ausdehnung des Schleiers festzustellen. Von der Erforschung der Neutronen-Halos erhofft sich die Wissenschaft weitere Erkenntnisse über die Kernbindungskräfte, die im Innern der Atome wirken – auch vor dem Hintergrund, dass die Entfernung der Halo-Neutronen vom zentralen Atomkern mit den Vorstellungen der klassischen Kernphysik nicht vereinbar ist.
"Intuitiv stellen wir uns unter einem Atomkern eine kompakte Kugel vor, die aus positiv geladenen Protonen und ungeladenen Neutronen besteht", erläutert Dr. Wilfried Nörtershäuser vom Institut für Kernchemie. "Tatsächlich wissen wir aber seit den 1980er-Jahren, dass die Atomkerne einiger neutronenreicher Isotope der leichtesten Elemente Lithium, Helium und Beryllium dieser Vorstellung völlig widersprechen." Diese Isotope bestehen aus einem kompakten Rumpfkern und einer Wolke aus verdünnter Kernmaterie – Heiligenschein oder Halo genannt. Ein Halo besteht meistens aus Neutronen, die extrem schwach an den Rumpfkern gebunden sind. "In der Regel mit nur etwa einem Zehntel der gewöhnlichen Bindungsenergie eines Neutrons im Kern", so Nörtershäuser.
Die Entdeckung dieser exotischen Atomkerne schuf ein neues Forschungsgebiet, das auch Nörtershäuser als Leiter einer Helmholtz-Hochschul-Nachwuchsgruppe seit 2005 an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und dem GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt bearbeitet. Messungen an Halo-Kernen sind ausgesprochen schwierig, da sie nur in kleinen Mengen künstlich erzeugt werden können. Hinzu kommt, dass die erzeugten Kerne innerhalb weniger Sekunden, meist sogar von Millisekunden wieder zerfallen.
Der Arbeitsgruppe um Nörtershäuser ist es jetzt erstmals gelungen, den Kernladungsradius des Halo-Kerns von Beryllium-11 zu messen. Dieser Kern besteht aus einem Rumpfkern aus vier Protonen und sechs Neutronen und einem schwach gebundenen Neutron, das den Halo bildet. Für diese laserspektroskopische Präzisionsmessung setzten die Wissenschaftler eine Methode ein, die bereits vor 30 Jahren an der JGU entwickelt wurde, kombinierten sie aber erstmals mit einer der modernsten Methoden zur präzisen Frequenzmessung von Lasern, indem sie einen Frequenzkamm einsetzten. Dies allein war aber noch nicht ausreichend. Erst durch die Erweiterung der Methode mit dem Einsatz eines weiteren Lasersystems konnte die erforderliche Genauigkeit erreicht werden. Die Technik wurde dann an der "Fabrik" für radioaktive Ionenstrahlen (ISOLDE) am Kernforschungszentrum CERN in Genf auf die Beryllium-Isotope angewandt.
Wie die Messungen ergaben, beträgt der mittlere Abstand des Halo-Neutrons von dem Rumpfkern 7 Femtometer. Das Halo-Neutron ist damit etwa dreimal so weit vom Rumpfkern entfernt wie das äußerste Proton, denn der Rumpfkern selbst hat einen Radius von nur 2,5 Femtometer. "Dies ist ein eindrucksvoller direkter Beweis des Halo-Charakters dieses Isotops. Besonders interessant ist dabei, dass das Halo-Neutron somit viel weiter von den anderen Nukleonen entfernt ist, als es die Reichweite der starken Kernkraft im klassischen Bild überhaupt zulassen dürfte", erklärt Nörtershäuser. Die starke Wechselwirkung, die den Atomkern zusammenhält, reicht lediglich 2 bis 3 Femtometer weit. Das Rätsel, weshalb sich das Halo-Neutron so weit vom Rumpfkern entfernen kann, lässt sich nur mit den Vorstellungen der Quantenmechanik lösen: Das Neutron muss demnach durch eine sogenannte Wellenfunktion beschrieben werden, die aufgrund der geringen Bindungsenergie nur sehr langsam nach außen hin abfällt. Demnach kann das Neutron mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit in klassisch verbotene Bereiche vordringen und den ausgedehnten "Heiligenschein" verursachen.
Die Arbeiten wurden von der Helmholtz-Gemeinschaft und der GSI Darmstadt sowie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.