Mainzer Forscher untersuchen Prozess der Ozonzerstörung im Polarwirbel über der Arktis / Neue Messdaten aus 21 Kilometern Höhe
16.04.2003
Der Ozonabbau in der Atmosphäre ist diesen Winter über der Nordhalbkugel vergleichsweise gering ausgefallen. Dies ist jedoch nicht auf Umweltschutzmaßnahmen zurückzuführen, sondern auf höhere Temperaturen in den betreffenden Luftschichten. Das ergaben Untersuchungen, an denen Forscher der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und des Max-Planck-Instituts für Chemie (MPI-C) beteiligt waren. "Im Januar und Februar 2003 war es so warm, dass es kaum zu der typischen Wolkenbildung kam, in der die Ozonzerstörung beginnt“, erklärt Dr. Joachim Curtius von der JGU. An den konzertierten Messaktionen EUPLEX mit dem russischen Höhenforschungsflugzeug Geophysica sind insgesamt 15 Forschergruppen aus fünf europäischen Ländern sowie Russland beteiligt.
Die Geophysica, ein ehemals russisches Spionageflugzeug, kann Messgeräte und Instrumente von rund einer Tonne Gewicht in 23 Minuten auf eine Höhe von 21 Kilometern bringen. Bei einer Reisegeschwindigkeit von 740 Stundenkilometern und sechs Stunden Gesamtflugdauer ergibt sich ein Aktionsradius von 2.500 Kilometern. Damit können die Atmosphärenforscher bis in die Stratosphäre vordringen, in der sich über den Polkappen der Süd- und der Nordhemisphäre das winterliche Ozonloch bildet. Die grundsätzlichen Mechanismen der Ozonzerstörung sind nach Aussage von Curtius mittlerweile recht gut bekannt. Mit Beginn der Polarnacht und dem Absinken der Temperaturen kommt es in der Stratosphäre zu Luftbewegungen, die den sogenannten "Polarwirbel" auslösen. Es handelt sich dabei um rotierende Luftmassen zwischen 14 und 30 Kilometer Höhe über den Polkappen, in denen sich der Ozonabbau abspielt.
Aus den Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) menschlichen Ursprungs entstehen nach dem Ende der Polarnacht mit dem Sonnenaufgang im Frühjahr über Umwege aggressive Chlormonoxidradikale (ClO), die in verschiedenen Zyklen das Ozon zerstören. Diese Prozesse finden in den Polaren Stratosphärenwolken (PSW) statt und werden durch sie erst ermöglicht. "Bei unseren Beobachtungen und Messungen möchten wir diese Wolken sozusagen in flagranti ertappen, wie sie den Urprozess der Ozonzerstörung in Gang setzen", erklärt Prof. Dr. Stephan Borrmann, Leiter des Instituts für Physik der Atmosphäre der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Direktor am Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie. Diesen Winter ist die Geophysica im Januar vom schwedischen Kiruna aus zu den Polaren Stratosphärenwolken gestartet. Dabei treten über Skandinavien auch spezielle Typen dieser Wolken auf: Durch die Skandinavischen Alpen wird die anströmende Luft in Schwingung versetzt und es bilden sich hinter den Berggipfeln Wolkenspitzen. Diese Leewellenwolken sind kleiner als die Polaren Stratosphärenwolken in der Antarktis und erstrahlen in leuchtend rötlichen und gelblichen Tönen, manche erscheinen giftgrün.
Während die Leewellenwolken ein beeindruckendes Farbschauspiel bieten, laufen in ihrem Inneren die chemischen Prozesse ab, die zur Zerstörung der lebenswichtigen Ozonschicht führen. "Wir wollen wissen, wie effektiv diese Wolken das gefährliche Chlormonoxidradikal produzieren können", erläutert Borrmann. "Denn davon hängt es ab, weshalb sich Ozonlöcher über der Nordhemisphäre bilden." Die Forscher können anhand ihrer Messdaten – wie Größe und Anzahl der verschiedenen Wolkenteilchen – Prognosen über den Ozonabbau stellen. Und der ist nach den bisher vorliegenden Ergebnissen in diesem Winter über der Nordhalbkugel nicht so massiv ausgefallen wie in manchen kälteren Wintern der vergangenen Jahre. "Wir haben zwar Aerosol- und Wolkenpartikel gefunden, aber nur wenige", erklärt Curtius. "In einem Flug der Geophysica wurde ein Entstehungsgebiet von Polaren Stratosphärenwolken durchflogen mit Temperaturen, die unter minus 79 Grad Celsius liegen. Und dort konnten wir in 15 bis 19 Kilometern Höhe Gebiete mit erhöhten Konzentrationen von Partikeln bis zu einem Mikrometer, also einem Tausendstel Millimeter, beobachten."
Diese Teilchen sind praktisch die erste Station auf dem Weg zum Ozonabbau, da hier die katalytischen Prozesse zur Chlorumwandlung von nicht-reaktiven Chlorsubstanzen zu reaktiven Chlorsubstanzen ablaufen. Die zweite Station kann erst nach Sonnenaufgang im Frühjahr durchlaufen werden. Am sonnendurchstrahlten Rand des Polarwirbels kommt es dann zu photochemischen Reaktionen, die das molekulare Chlorgas in atomares Chlor umwandeln, das weiter reagiert zu den aggressiven Chlormonoxidradikalen.
Dass es in diesem Winter kaum zur Bildung von Polaren Stratosphärenwolken gekommen ist, hat lediglich mit der Temperatur zu tun, die in der Stratosphäre selten auf minus 80 Grad gesunken ist. "Die Reduktion von Fluorchlorkohlenwasserstoffen in den Industrieländern wird sich vermutlich erst in zehn bis 30 Jahren positiv auf den Chloreintrag in die Stratosphäre und damit auf den Ozonabbau auswirken", erwartet Curtius.