Empfehlungen für bessere Willkommenskultur im Landkreis Germersheim erarbeitet
10.07.2014
Die Studierenden des Fachbereichs 06: Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft (FTSK) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) in Germersheim sind nicht nur Sprach-, sondern auch Kulturexperten. Diese Fähigkeiten hat sich der Landkreis Germersheim zunutze gemacht, um den alltäglichen Umgang der Behörden mit ausländischen Mitbürgern zu verbessern. Germersheim ist der Landkreis mit dem höchsten Ausländeranteil in Rheinland-Pfalz. Mit Unterstützung des Fachbereichs 06 hat die Kreisverwaltung ein Projekt zur interkulturellen Öffnung umgesetzt, das aktiv zur Willkommenskultur für ausländische Bürger beiträgt. Dabei erweist sich die ungewöhnliche Kooperation nicht nur für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung und ihre Besucherinnen und Besucher als ein Gewinn, sondern ebenso für die beteiligten Studierenden. Mit insgesamt 2.000 Studierenden ist die Johannes Gutenberg-Universität Mainz am Standort Germersheim die weltweit größte Ausbildungsstätte für Dolmetscher und Übersetzer.
In Germersheim ist interkulturelle Kompetenz Alltag: Aus über 100 Nationen stammen die Studierenden des FTSK, die sich hier zum Dolmetscher oder Übersetzer ausbilden lassen. "Wir haben eine enorme Kompetenz und kulturelle Vielfalt. Unsere Studierenden sind alle mit einer oder auch mehreren fremden Kulturen vertraut", erklärt Dr. Andrea Cnyrim vom Arbeitsbereich Interkulturelle Kommunikation. Fast die Hälfte ihrer Studierenden sind selbst Ausländer, aber alle haben mit einer Fremdsprache automatisch auch die jeweilige Kultur erlernt. "Wie Bitten zum Beispiel auf Deutsch und Türkisch oder Russisch geäußert werden, wird mit dem Studium vermittelt", so Cnyrim.
Diese Kenntnisse konnten die Studierenden beim Lehr-Forschungsprojekt "Interkulturelle Kompetenzentwicklung" einbringen, das unter der Leitung von Cnyrim mit dem Landkreis Germersheim entwickelt wurde. Zunächst öffnete die Kreisverwaltung ihre Türen für die Studierenden, damit sie in Gesprächen mit den Mitarbeitern und in der Beobachtung des Arbeitsalltags erst einmal die Situation erfassen und den Bedarf ermitteln konnten. Klassische Probleme sind Verständnisschwierigkeiten oder fehlende Unterlagen, aber auch Aushänge oder Beschilderungen sind für manche ausländischen Mitbürger ein Hindernis. "Die Offenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kreisverwaltung war außergewöhnlich und für die Studierenden ein großer Vertrauensbeweis", fasst Dr. Andrea Cnyrim die Erfahrungen zusammen. Vom Jugendamt bis zur Wohngeldstelle und vom Bauamt bis zur Fahrzeugzulassung – die gesamte Verwaltung wurde in das Projekt einbezogen.
Die Ergebnisse der Interviews und der teilnehmenden Beobachtung flossen in Schulungskonzepte für verschiedene Zielgruppen, wie Führungskräfte oder Mitarbeiter mit Kundenkontakt, ein. Schließlich organisierten die Studierenden Schulungen in Form von Workshops, um mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern individuell passende Lösungen und Instrumentarien für ihre tägliche Praxis mit ausländischen Bürgern zu erarbeiten. Das Projekt ist jedoch nicht nur ein Schritt in Richtung "Willkommenskultur" im Behördenalltag, sondern auch ein wichtiger Baustein im Rahmen des Studiums. "Ich bin von Praxisprojekten in der Lehre überzeugt", erklärt Cnyrim. "Eine solche Leistungsbereitschaft der Studierenden ist in einem simulierten Projekt niemals zu erreichen." Die angehenden Übersetzerinnen und Übersetzer, Dolmetscherinnen und Dolmetscher hatten die seltene Chance, sich in eine ganz andere Berufsgruppe hineinzuversetzen. Für einige der Teilnehmer bot das Projekt gleichzeitig die Gelegenheit, ihre Abschlussarbeit zu verfassen.
Knapp 70 Studierende waren seit Jahresende 2012 bis zum Frühjahr 2014 an dem Lehr-Forschungsprojekt beteiligt. Die Ergebnisse, so Projektleiterin Cnyrim, sind prinzipiell auf andere Einrichtungen, auch Städte und Gemeinden, übertragbar. Gespräche zu einer Fortsetzung laufen bereits.