Spot an in der Nanowelt: Struktur kleinster Kristalle wird sichtbar gemacht

Mainzer Methode der Elektronenmikroskopie wird international nachgefragt / Strukturanalyse von Zeolith in Science veröffentlicht

06.09.2011

An der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) wurde eine grundlegende Methode entwickelt, um Strukturen auf der Nanoebene sichtbar zu machen. Damit ist die Anordnung von Atomen und Molekülen in unterschiedlichen Feststoffen von Zement bis hin zu Pharmaka genau festzustellen. Das noch junge Verfahren aus der Elektronenmikroskopie kann die Struktur winzigster Kristalle auflösen. Die Methode wurde in der Arbeitsgruppe von Dr. Ute Kolb am Institut für Physikalische Chemie entwickelt und findet mittlerweile internationale Beachtung. In Kooperation mit Wissenschaftlern aus Spanien und China konnte damit gerade die Struktur eines neuartigen feinporigen Zeolithen bestimmt werden, eine Arbeit, die das Wissenschaftsjournal Science Ende August publiziert hat. "Wir haben eine Tür zu den Nanostrukturen aufgestoßen", beschreibt Ute Kolb die Erfolge.

Die Anordnung der Atome oder Moleküle in einem Festkörper bestimmt maßgeblich die physikalischen Eigenschaften eines Materials. Die Analyse solcher Strukturen erfolgte erstmals im Jahr 1895 mithilfe von Röntgenstrahlung, einer Methode, die sich seither zu einem Standardverfahren entwickelt hat. Zu den Anfängen gehörte 1912 die Entdeckung, dass Kristalle aus kleinen Gittern aufgebaut sind, was die Vielfalt an thermischen, elektrischen, optischen oder mechanischen Eigenschaften bedingt. "Dass diese Methode immensen Einfluss auf unser Verständnis von Festkörpern und deren Eigenschaften hatte und immer noch hat, zeigt sich in der Vielzahl der Nobelpreise, die eine Strukturanalyse einschließen", beschreibt Kolb den Siegeszug der Röntgenstrukturanalyse.

Im Zeitalter der Nanotechnologie wendet sich die Wissenschaft jedoch vermehrt sehr kleinen Partikeln zu, die mit der Röntgenstrukturanalyse nicht mehr zu erfassen sind. So ist eine Einkristall-Röntgenstrukturanalyse nur bis zu einer Kristallgröße von etwa einem Mikrometer möglich, also einem tausendstel Millimeter. Unterhalb dieser Grenze, im Reich der Nanostrukturen, erlaubt erstmals die Elektronenbeugungstomographie oder Automated Diffraction Tomography (ADT) eine vergleichbare Strukturaufklärung an einzelnen Kristalliten: "Das ist, als würden wir Licht anschalten in der Welt der Nanostrukturen", so Kolb. Die Methode beruht wie bei der Elektronenmikroskopie generell darauf, dass ein Elektronenstrahl auf ein Objekt trifft und dadurch gebeugt wird. Aus dem Beugungsverhalten lässt sich die Lage der Atome ermitteln.

Kolb hat die Einkristall-Elektronenbeugungstomographie, so die vollständige Bezeichnung, mit ihrer Arbeitsgruppe in den letzten zehn Jahren entwickelt. Ihren ersten Erfolg verbuchte sie 2009, als die Struktur von Bariumsulfat gelöst werden konnte. "Seitdem explodiert die Menge der Materialien, die wir entschlüsseln", so die Chemikerin. Jüngstes Beispiel ist die Strukturbestimmung des Zeolithen ITQ-43 in Kooperation mit spanischen und chinesischen Wissenschaftlern. Zeolithe sind Kristalle aus einer Verbindung von Aluminium und Silikat, die kleine Poren aufweisen und daher für die Energie- und Umwelttechnik interessant sind, bspw. als Adsorber, Ionentauscher oder Katalysatoren. Bei der Wasseraufbereitung tragen sie dazu bei, Schwermetalle herauszufiltern. In der Erdöl- und Erdgasindustrie kam ihre Einführung beim Rohöl-Cracking einer kleinen Revolution gleich, aber sie begegnen uns auch überall im Alltag, wie zum Beispiel im Waschpulver. Die Forscher um Prof. Dr. Avelino Corma von der Technischen Universität Valencia haben einen Zeolithen mit mittelgroßen und kleinen Poren synthetisiert, deren Kombination wie ein Trichter wirkt und so die katalytischen Eigenschaften noch weiter verbessert. Wie die komplexe Kristallstruktur mithilfe der ADT analysiert wurde, beschreibt das Forscherteam in seinem Beitrag in Science.

"Je kleiner die Zeolithkristalle vorliegen, desto höher ist ihre katalytische Effizienz", erklärt Kolb. Bei einer Kristallgröße von etwa 100 Nanometern, was vergleichbar ist mit einem achthundertstel eines menschlichen Haars, kann oft nur die automatische Beugungstomographie die Struktur vollständig und klar auflösen. "Es gibt eine große Anzahl von natürlichen und synthetischen Feststoffen, für die unser Verfahren in Frage kommt, weil sie nicht in geeigneter Kristallgröße vorliegen oder nicht hergestellt werden können." So hat Kolb in den vergangenen zwei Jahren die unterschiedlichsten Materialien unter ihr Mikroskop gelegt, von Farbpigmenten über Titanate für die Solartechnik bis hin zu Mineralien wie Charoit, einem sehr begehrten russischen Schmuckstein.

Im Vergleich zu herkömmlichen elektronenmikroskopischen Charakterisierungen ist die Elektronenbeugungstomographie wesentlich schneller, genauer und vollständiger. Wurden früher Strukturen zwei Jahre lang erforscht, so erhält man sie mit der ADT heute innerhalb von nur einem Tag. Auch strahlempfindliche Stoffe sind prinzipiell für die Methode, die Kolb als "Computertomographie für Kristalle" bezeichnet, geeignet. Mit der Computertomographie teilt die ADT auch ein Merkmal, das überhaupt zu ihrem Erfolg geführt hat: Die Untersuchungsprobe wird unter dem Elektronenmikroskop schrittweise gekippt, um Daten aus ganz unterschiedlichen Positionen zu sammeln. Mit diesem Trick umgehen die Wissenschaftler das zentrale Problem: Die starke Wechselwirkung des Elektronenstrahls mit der Probe hatte bislang die Elektronenbeugung massiv erschwert.

Dr. Ute Kolb ist seit 2008 Akademische Oberrätin am Institut für Physikalische Chemie und am Zentrum für hochauflösende Elektronenmikroskopie der JGU mit dem Spezialgebiet "Elektronenkristallographie". Die jüngste Arbeit hat sie Ende August bei einer Konferenz in Madrid vorgestellt, wo sie auch in das Leitungsgremium der Commission for Electron Crystallography der International Union of Crystallography gewählt wurde.

Um den Ausbau der Methode voranzutreiben, kooperieren die Mainzer Chemiker mit Prof. Dr. Elmar Schömer vom Institut für Informatik sowie mit Prof. Dr. Thorsten Raasch vom Institut für Mathematik der JGU.