Programmierter Zelltod bei Morbus Crohn

Wissenschaftler der Universität Erlangen und der Universitätsmedizin Mainz entdecken Schalter zur Regulierung der Zellzahl im Darm

19.09.2011

Mehr als 300.000 Menschen in Deutschland leiden an chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa. Die Betroffenen leiden zum Teil ihr Leben lang unter immer wiederkehrenden heftigen Bauchschmerzen, Durchfällen und Krämpfen. In Folge der Krankheit besteht zudem ein erhöhtes Risiko, an Darmkrebs zu erkranken. Weil die Krankheitsursache trotz weltweiter Forschungsanstrengungen weitgehend unklar ist, haben Wissenschaftler an der Medizinischen Klinik 1 der Universitätsklinik Erlangen in Zusammenarbeit mit ihren Kooperationspartnern vom Institut für Immunologie der Universitätsmedizin Mainz und der US-amerikanischen University of California in La Jolla die molekularen Mechanismen erforscht, die zu solchen Darmerkrankungen führen. Bei ihren Untersuchungen stellten sie fest, dass das Fehlen eines bestimmten Enzyms verstärkt zum Absterben von Zellen im Darm führt. Durch diesen übermäßigen Zelltod entstehen Lücken in der Epithelschicht, einer Zellschicht, die die Darmwand eigentlich vor dem Eindringen schädlicher Bakterien schützen soll. Eine Entzündung der Darmschleimhaut ist die Folge. Die Ergebnisse veröffentlichte das Forschungsteam um die Erlanger Wissenschaftler Claudia Günther und Prof. Dr. Christoph Becker in der renommierten Fachzeitschrift Nature.

"Im Mittelpunkt unserer Arbeiten stand das Enzym Caspase-8", erläutert Christoph Becker, der eine Professur für Molekulare Gastroenterologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg innehat und das Forschungsprojekt leitet. "Am experimentellen Modell und an betroffenen Patienten haben wir die Rolle untersucht, die dieses Enzym bei der Entstehung entzündlicher Darmerkrankungen spielt. Caspase-8 ist ein für unseren Körper äußerst wichtiges Enzym. Es steuert die Apoptose, eine Art 'Selbstmordprogramm', das die Zellzahl im Darm regelt und gleichzeitig gewährleistet, dass alternde Zellen ohne Schädigung des umliegenden Gewebes zugrunde gehen", so Becker weiter.

"Ist in den Epithelzellen Caspase-8 nicht ausreichend vorhanden oder die Funktion des Proteins gestört, müsste das dazu führen, dass die Zellen im Darm länger leben - so unsere Ausgangsüberlegung", sagt Diplom-Biologin Claudia Günther, die ihre Doktorarbeit an der Medizinischen Klinik 1 schreibt. Doch zur großen Überraschung der Forscher erwies sich diese Überlegung als unzutreffend. Im Gegenteil: Epithelzellen, denen Caspase-8 fehlte, waren besonders anfällig für Zelltod. Besonders betroffen waren die sog. Panethzellen, spezialisierte Epithelzellen, die Stoffe produzieren, mit denen sie Bakterien auf Distanz halten oder sogar abtöten können. "Fehlen diese Zellen, so können Bakterien in die Darmwand eindringen und Entzündungsreaktionen, wie bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen auslösen", erläutert Günther. Die absterbenden Darmzellen zeigten dabei völlig andere Eigenschaften als Zellen, die aufgrund von Apoptose sterben. "Die in unseren Experimenten beobachteten Zellen starben an Nekroptose, einer erst kürzlich entdeckten Form von Zelltod, den wir nun erstmals im Darm von Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen nachweisen konnten", erläutert Becker.

"Die Entdeckung, dass Panethzellen im Darm aufgrund von Nekroptose absterben, ist ein wichtiger Schritt zum Verständnis der Entstehung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen", so Becker weiter, der bis vor 2 Jahren an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz forschte und für seine dort durchgeführten Arbeiten im Jahr 2007 gemeinsam mit Dr. Stefan Tenzer vom Institut für Immunologie der Universitätsmedizin Mainz den renommierten Boehringer-Ingelheim-Forschungspreis erhielt. Schon damals wurde eine enge Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsgruppen begründet, die auch heute noch fortbesteht und deren Ergebnisse einen Beitrag zur Aufklärung der in der Arbeit untersuchten Mechanismen leisten konnten.

Eine wichtige Rolle spielte in diesem Forschungsprojekt die von Dr. Stefan Tenzer geleitete "Core Facility für Massenspektrometrie" am Forschungszentrum für Immuntherapie (FZI) der Universitätsmedizin Mainz. "Der Zugriff auf Spitzentechnologien ist besonders bei der Untersuchung komplexer Erkrankungen von immer größerer Bedeutung. Die Core Facilities des FZI, die mit substantieller Unterstützung der Landesregierung etabliert wurden, sind daher für Forschung auf höchstem Niveau unverzichtbar", so der Sprecher des FZI, Prof. Dr. Hansjörg Schild.