Besonders in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist das Vertrauen in Deutschland zwar traditionell groß, verzeichnet nun aber einen Rückgang / Mehrheit sieht Reformbedarf
02.05.2023
Im Jahr 2022 ist das Vertrauen der deutschen Bevölkerung in die Medien leicht gesunken, es liegt aber auf einem höheren Niveau als vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Allerdings ist das traditionell hohe Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gesunken. Es befindet sich auf dem niedrigsten Stand, der in der Mainzer Langzeitstudie "Medienvertrauen" bisher gemessen wurde: 62 Prozent der Deutschen ab 18 Jahren halten das öffentlich-rechtliche Fernsehen für vertrauenswürdig, im Pandemie-Jahr 2020 waren es 70 Prozent. In den Jahren 2016 bis 2019 schwankte der Wert zwischen 65 und 72 Prozent.
Die Langzeitstudie wird seit dem Jahr 2015 von einem Forschungsteam des Instituts für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und des Instituts für Sozialwissenschaften der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf durchgeführt. Die neue Datenerhebung wurde von der Bundeszentrale für politische Bildung finanziell unterstützt. Erste Ergebnisse sind jetzt in der Fachzeitschrift Media Perspektiven erschienen. Sie basieren auf einer repräsentativen Telefon-Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Kantar im Dezember 2022 für das Forschungsteam umgesetzt hat. Befragt wurden 1.200 Bürgerinnen und Bürger ab 18 Jahren. Die statistische Fehlertoleranz beträgt maximal 3 Prozentpunkte.
Das Medienvertrauen der Deutschen hatte während der Pandemie Spitzenwerte erreicht und ist nun etwas abgesunken. In der aktuellen Umfrage stimmten 49 Prozent der Aussage "eher" oder "voll und ganz" zu: "Wenn es um wirklich wichtige Dinge geht – etwa Umweltprobleme, Gesundheitsgefahren, politische Skandale und Krisen – kann man den Medien vertrauen." Am Ende des Corona-Jahres 2020 hatte die Zustimmung bei 56 Prozent gelegen. In den Jahren vor der Pandemie schwankte der Wert zwischen 41 und 44 Prozent. In der Corona-Pandemie ging der akut gestiegene Informations- und Orientierungsbedarf mit größerem Vertrauen in die Informationsleistungen des Mediensystems einher. Ein solcher Effekt lässt sich aktuell für die Berichterstattung über den Ukraine-Krieg nicht beobachten.
Insgesamt liegt das Medienvertrauen weiterhin über dem Niveau vor der Pandemie: Nur 17 Prozent (2020: 16 Prozent) sagten, man könne den Medien "eher nicht" oder "überhaupt nicht" vertrauen, 39 Prozent sagten "teils, teils" (2020: 38 Prozent). Vor der Pandemie hatten zwischen 19 und 27 Prozent gesagt, man könne den Medien "eher" oder "überhaupt nicht" vertrauen. Die während der Pandemie und des Kriegs in der Ukraine mancherorts geäußerte These eines dramatischen Vertrauensverlustes in die Medien lässt sich damit nicht bestätigen.
Debatte über öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Mit einem Vertrauenswert von 62 Prozent liegt das öffentlich-rechtliche Fernsehen an der Spitze der vertrauenswürdigen Mediengattungen. Es positioniert sich deutlich vor den Informationsangeboten privater Fernsehsender (21 Prozent) oder Boulevard-Zeitungen (4 Prozent) und geringfügig vor Lokal- und Regionalzeitungen (60 Prozent) sowie überregionalen Zeitungen (55 Prozent). Wie in den Vorjahren halten nur wenige Menschen Informationen von Videoplattformen (7 Prozent) oder sozialen Netzwerken des Internets (5 Prozent) für vertrauenswürdig. Das Absinken des Werts für das öffentlich-rechtliche Fernsehen im Zeitverlauf deutet aber darauf hin, dass die Zustimmung der Bevölkerung zum öffentlich-rechtlichen System auch schwanken oder zurückgehen kann. Außer strukturellen Faktoren, wie einem Wandel in der Mediennutzung, können dabei Skandale um einzelne Sendeanstalten, die im vergangenen Jahr Schlagzeilen machten, eine Rolle spielen. Eine Mehrheit (51 Prozent) gab an, sie hätten "viel" oder "sehr viel" von den jüngsten Problemen und Skandalen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk mitbekommen. 14 Prozent sagten, sie hätten davon gar nichts mitbekommen, 33 Prozent "nicht viel" (2 Prozent "weiß nicht").
Mehrheitlich wird Reformbedarf gesehen: 40 Prozent stimmten der Aussage zu, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei zu aufgebläht und bürokratisch (21 Prozent stimmten nicht zu, 30 Prozent sagten "teils, teils"). Ähnliche Zustimmungswerte erreichten die Aussagen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk verschwenderisch mit Geld umgehe (38 Prozent Zustimmung, 25 Prozent Ablehnung, 28 Prozent "teils, teils") und dass er zu eng mit der Politik verflochten sei (37 Prozent Zustimmung, 27 Prozent Ablehnung, 31 Prozent "teils, teils"). Trotz solcher Kritik besteht Rückhalt im Grundsatz: 72 Prozent stimmten der Aussage zu, dass die Informationsangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wichtig seien (9 Prozent stimmen nicht zu, 18 Prozent "teils, teils"). 62 Prozent stimmten der Aussage zu, der öffentlich-rechtliche Rundfunk leiste einen wichtigen Beitrag zur Demokratie (13 Prozent stimmten nicht zu, 23 Prozent "teils, teils").
Medienzynismus: Extreme Medienkritik leicht gestiegen
Im Vergleich zur Corona-Zeit ist der Anteil an Menschen, die extrem kritisch bis feindselig auf die etablierten Medien blicken – die Kommunikationswissenschaft spricht hier von Medienzynismus –, leicht gestiegen: 14 Prozent bejahten die Aussage, die Bevölkerung in Deutschland werde "von den Medien systematisch belogen". Im Pandemie-Jahr 2020 lag die Zustimmung bei 11 Prozent (der Abstand liegt noch im Rahmen der statistischen Fehlertoleranz), in den Jahren zuvor zwischen 13 und 19 Prozent. In der aktuellen Befragung wiesen 62 Prozent den "Lügenpresse"-Vorwurf zurück, im Jahr 2020 waren es 66 Prozent. Deutlicher ist der Anstieg bei der Zustimmung zur Aussage: "Die Medien arbeiten mit der Politik Hand in Hand, um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren." In der aktuellen Umfrage stimmten 21 Prozent zu, im Jahr 2020 waren es 15 Prozent. In den Jahren vor der Pandemie lag die Zustimmung zwischen 20 und 27 Prozent.
Vertrauen in Krisenberichterstattung: Corona, Ukraine
Die Corona-Berichterstattung wird nach der Pandemie kritischer beurteilt als während der Pandemie. Hatten 2020 noch 63 Prozent Vertrauen in die Corona-Berichterstattung der etablierten Medien in Deutschland, waren es Ende des Jahres 2022 nur noch 43 Prozent (31 Prozent "teils, teils", 25 Prozent wenig oder kein Vertrauen). Offenbar ist der Kriseneffekt verblasst, der darin bestand, dass die Medien Orientierung gaben und ihre Informationen oft unmittelbar handlungsrelevant waren. Zudem verstärkten sich im Laufe der Zeit die Debatten und Zweifel am politisch-gesellschaftlichen Management der Pandemie, sodass diese den Status eines gewöhnlichen Konfliktthemas bekam. Mit zunehmendem Abstand zum Empfinden akuter persönlicher Bedrohung scheint die Reflexion der Ereignisse zu einer stärkeren Differenzierung im Urteil der Bevölkerung zu führen.
Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat sich bisher nicht in ähnlicher Weise auf das Medienvertrauen niedergeschlagen wie der Ausbruch der Corona-Pandemie. 45 Prozent sagten, dass sie der Berichterstattung etablierter Medien über den Krieg vertrauen, 36 Prozent sagten "teils, teils", 17 Prozent hatten wenig oder kein Vertrauen. Das Vertrauen in die Kriegsberichterstattung liegt damit auf einem Niveau mit dem Vertrauen in die Berichterstattung zum Klimawandel (46 Prozent Vertrauen, 35 Prozent "teils, teils", 18 Prozent niedriges/kein Vertrauen). Auch entspricht das Vertrauen in die Berichterstattung über den Krieg in der Tendenz den aktuellen Werten des Vertrauens in die Corona-Berichterstattung.
Zur Studie
Die langfristig angelegte Studie zum Medienvertrauen basiert auf mehr als einem Jahrzehnt kommunikationswissenschaftlicher Vertrauensforschung am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Im Mittelpunkt stehen repräsentative Befragungen, die die Entwicklungen, Ursachen und Folgen des Vertrauens erheben.
Zum Forschungsteam gehören aktuell Prof. Dr. Nayla Fawzi, PD Dr. Nikolaus Jackob, Dr. Ilka Jakobs, Prof. Dr. Oliver Quiring, Prof. Dr. Christian Schemer, Prof. Dr. Tanjev Schultz, Daniel Stegmann M.A., Dr. Christina Viehmann und Prof. Dr. Marc Ziegele.
Die Studie wird seit 2022 von der Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt. Die Unterstützung dient dazu, die Kosten des Umfrage-Dienstleisters Kantar zu tragen. Fragebogenkonzeption und Auswertung sind in Händen des Forschungsteams. Erste Ergebnisse der aktuellen Erhebung sind in der Zeitschrift Media Perspektiven erschienen.