Mit Smart Data wollen Sportwissenschaftler*innen die Lebensqualität von Patient*innen verbessern

Digitales Assistenzsystem, unterstützt durch künstliche Intelligenz, soll Lebensqualität von Erkrankten steigern / Sportmedizin der JGU an zwei Projekten unter Federführung der Universitätsmedizin Mainz beteiligt

01.08.2023

Regelmäßige, wohldosierte körperliche Aktivität kann für kranke Menschen die Lebensqualität entscheidend verbessern. Gerade auch Krebserkrankte profitieren meistens von moderater körperlicher Aktivität, aber oft haben Patient*innen weder Zugang zu entsprechenden Angeboten noch die zeitliche Kapazität oder die körperliche Leistungsfähigkeit, um sinnvoll trainieren zu können. Die Sportmedizin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) untersucht unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Perikles Simon vor diesem Hintergrund, wie mithilfe von digitaler Assistenz wie Wearables und mobiler App, verbunden mit sicherem Datentransfer und modernen Methoden der Datenanalytik, die körperliche Aktivität im Lebensumfeld der Patient*innen realisierbar gefördert und somit die Lebensqualität von Betroffenen erhöht werden kann. "Mit unserem Smart-Data-Konzept möchten wir die digitalen Möglichkeiten nutzen, um einerseits direkt die Erkrankten und andererseits auch die Sporttherapeut*innen zu unterstützen", sagt Barlo Hillen, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Sportmedizin, Prävention und Rehabilitation der JGU. Die Abteilung beteiligt sich dabei an zwei Forschungsprojekten, die unter Federführung der Universitätsmedizin Mainz erfolgen: das BMBF-Projekt DECIDE und das EU-Projekt RELEVIUM.

DECIDE: Mit Algorithmen und Smartwatch für das Wohl der Patient*innen sorgen

Ein generelles Ziel der Mainzer Sportmedizin ist es, die körperliche Beanspruchung für Patient*innen ebenso wie für Sportler*innen optimal zu steuern. Erkrankte sollen darin unterstützt werden, mit ihrer Erkrankung besser umgehen zu können, ihr persönliches Wohlbefinden zu verbessern und die Leistungsfähigkeit zur Bewältigung der alltäglichen Aufgaben zu steigern beziehungsweise bei fortschreitender Erkrankung zu erhalten. Das Projekt DECIDE – kurz für "Decentralized Digital Environment for Consultation, Data Integration, Decision Making and Patient Empowerment" – wird von Dr. Torsten Panholzer, Leiter der Abteilung Medizinische Informatik am Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI) der Universitätsmedizin Mainz, koordiniert. Das Projekt strebt insbesondere an, die Versorgungsqualität für Menschen mit Darmkrebs, Lungenkrebs und Depressionen in den ländlichen Regionen von Rheinland-Pfalz zu verbessern. Die Vernetzung und die Kommunikation unter den Beteiligten – regionale Krankenhäuser, Ärzte und Ärztinnen, Selbsthilfegruppen und wissenschaftliche Partner – wird technisch durch die Medizininformatik des IMBEI realisiert. Sie soll direkt den Patient*innen zugutekommen.

Die Sportmedizin wird zu diesem Zweck in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik intelligente digitale Assistenzsysteme entwickeln, um die körperliche Belastung im Alltag der Patient*innen – einfach und per App vermittelt – personalisiert zu steuern. Mit einer Smartwatch werden dann unter anderem Herzfrequenz und Anzahl der Schritte erfasst, aber auch das subjektive Belastungs- und Schmerzempfinden wird erhoben. Über eine Rückmeldeschleife können die Sportwissenschaftler*innen auf Basis einer automatisierten Datenanalyse die Trainingsempfehlung mithilfe eines Algorithmus jede Woche neu individuell anpassen. "In bisherigen Projekten ist die Auswertung von Trainingsprotokollen und die Erstellung der Trainingspläne von Hand erfolgt. Das war sehr zeitaufwendig. Die digitalen Tools könnten diese manuellen Schritte jetzt zunehmend automatisiert ausführen und somit die Effizienz steigern", so Hillen. Je nach persönlicher Situation umfassen die Empfehlungen leichtes Krafttraining, Ausdauertraining wie beispielsweise strammes Gehen oder intervallförmige Laufeinheiten sowie Koordinations- und Beweglichkeitstraining. Alles kann im Lebensumfeld durchgeführt werden. Potenzielle logistische oder finanzielle Barrieren hinsichtlich der Trainingsteilnahme können somit mindestens minimiert werden.

An DECIDE sind neben den Einrichtungen der Universitätsmedizin Mainz und der Sportmedizin der JGU auch das Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik (ITWM) und die MCS Data Labs GmbH in Berlin beteiligt. Derzeit befindet sich DECIDE in der Testphase mit gesunden Proband*innen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Projekt im Rahmen seiner Digitalisierungsstrategie mit 5,5 Millionen Euro.

RELEVIUM: Lebensqualität von Patient*innen mit Bauchspeicheldrüsenkrebs bestmöglich erhalten

Das EU-Projekt RELEVIUM möchte dazu beitragen, die Lebensqualität von Patient*innen mit Bauchspeicheldrüsenkrebs im fortgeschrittenen Stadium zu steigern. Schmerzen und unkontrollierbarer Gewichtsverlust sollen dabei durch hochgradig personalisierte Strategien für Ernährung, körperliche Aktivität und Schmerzmanagement reduziert werden – zusätzlich zur Chemotherapie. Besonders das Monitoring von Sarkopenie, Ernährung, physischer Aktivität und Schmerzempfinden im Lebensalltag der Betroffenen soll durch digitale Assistenz inklusive automatisierter Auswertealgorithmen verbessert werden. Hier unterstützt die Abteilung Sportmedizin nicht nur beim Anteil der physischen Aktivität, sondern das gesamte Projektkonsortium bei der Planung und Umsetzung einer randomisierten kontrollierten Studie in fünf klinischen Zentren in Europa und bei der Analyse der erhoben umfangreichen Daten.

"Wir wollen einen Effekt nachweisen und zeigen, dass die Patient*innen durch die digitalen Tools gestärkt werden und dass sich ihre Lebensqualität erhöht", beschreibt Barlo Hillen die Zielsetzung. Im Hinblick auf die sportliche Aktivität wird das Training ähnlich wie bei DECIDE organisiert, aber auf die Patientengruppe mit Bauchspeicheldrüsenkrebs angepasst. Bauchspeicheldrüsenkrebs hat die niedrigste Überlebensrate unter den Krebsarten und ist jedes Jahr für 95.000 Todesfälle in der EU verantwortlich.

Das RELEVIUM-Konsortium besteht aus 18 Partnern aus zehn Ländern, darunter auch große europäische Kliniken und Krebszentren in Belgien, Estland, Frankreich und Israel. Der europäische Forschungsverbund steht unter der Leitung von Prof. Dr. Markus Möhler von der I. Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz. Das Projekt ist am 1. September 2022 mit einer Machbarkeitsstudie mit erkrankten und gesunden Proband*innen gestartet und läuft bis 2026. Die EU-Förderung beträgt über diesen Zeitraum rund sechs Millionen Euro.