Auswertung der neuen Erhebungswelle der Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen
21.05.2025
In Deutschland gibt es weiterhin keine flächendeckende Erosion des Vertrauens in die Medien. Doch immer mehr Menschen nehmen öffentliche Debatten als aggressiv und unsachlich wahr. Zudem blickt eine Minderheit, die zuletzt leicht gewachsen ist, besonders kritisch bis feindselig auf etablierte Medien. Das zeigt die neue Erhebung der Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen.
Die Langzeitstudie wird seit dem Jahr 2015 von einem Forschungsteam des Instituts für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und des Instituts für Sozialwissenschaften der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf durchgeführt. Seit 2022 wird die Datenerhebung von der Bundeszentrale für politische Bildung finanziell unterstützt. Erste Ergebnisse der neuen Erhebungswelle sind jetzt in der Fachzeitschrift Media Perspektiven erschienen. Sie basieren auf einer repräsentativen Telefonumfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Verian (vormals Kantar) im November und Dezember 2024 für das Forschungsteam umgesetzt hat. Befragt wurden 1.203 Bürgerinnen und Bürger ab 18 Jahren. Die statistische Fehlertoleranz beträgt maximal 3 Prozentpunkte.
Stabiles Vertrauen, "wenn es um wirklich wichtige Dinge geht"
Bundesweit geben 47 Prozent der Bürgerinnen und Bürger an, dass sie den etablierten Medien eher oder vollkommen vertrauen, "wenn es um wirklich wichtige Dinge geht". Im Vorjahr waren es 44 Prozent. Zwar liegt das neue Vertrauensniveau unter dem Höchstwert von 56 Prozent, der während der COVID-19-Pandemie gemessen wurde. Das Vertrauen ist jedoch noch immer höher als 2019, als nur 43 Prozent den Medien ihr Vertrauen aussprachen. Ebenfalls gesunken – um 5 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr – ist der Anteil der Menschen, die den Medien kein Vertrauen schenken bzw. ihnen misstrauen: Er beträgt jetzt 20 Prozent. Etwa ein Drittel nimmt eine mittlere Position ein und vertraut den Medien "teils, teils".
Beschimpfen und beleidigen – Debatten werden zunehmend als aggressiv wahrgenommen
Öffentliche Debatten werden zunehmend als unsachlich, aggressiv und verroht wahrgenommen. So sagen mehr als die Hälfte der Befragten, dass es häufig oder sehr häufig vorkomme, dass Personen, die öffentlich auftreten, stur auf ihrem Standpunkt beharren (69 Prozent), andere nicht ausreden lassen (68 Prozent) oder dauernd vom Thema abweichen (54 Prozent). Drei Jahre zuvor lagen diese Werte zum Teil 12 bis 20 Prozentpunkte niedriger. Häufige Phänomene in der Wahrnehmung der Befragten sind zudem das absichtliche Verschweigen von wichtigen Fakten (44 Prozent), das Äußern von Vorurteilen über andere (44 Prozent) sowie die Kommunikation von bösartigen oder zynischen Bemerkungen (39 Prozent). Dass sich Menschen öffentlich häufig unhöflich und respektlos verhalten oder dass sie andere beschimpfen und beleidigen, nimmt jeweils knapp ein Drittel der Befragten so wahr. Auch hier sind starke Zuwächse zu verzeichnen. Im Jahr 2022 hatten nur 18 Prozent der damals Befragten Beschimpfungen und Beleidigungen als häufige Phänomene im öffentlichen Diskurs wahrgenommen.
Wenig Vertrauen in Berichterstattung zu Israel und Gaza
Das Vertrauen kann von Thema zu Thema variieren. Kritisch sehen die Befragten im Jahr 2024 die erstmalig in der Studie thematisierte Medienberichterstattung zu Israel und Gaza: 27 Prozent vertrauen den Berichten überwiegend oder vollkommen, ebenfalls 27 Prozent haben dagegen kein Vertrauen. Erfragt wurde auch die Einschätzung zur Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine. Dieser vertrauen mit 40 Prozent deutlich mehr Menschen als den Berichten über Israel und Gaza.
"Lügenpresse"-Narrativ verbreitet sich weiter
Der "Medienzynismus" hat sich in der Gesellschaft verfestigt. Damit gemeint ist ein Muster von Einstellungen, mit denen die Integrität und Legitimität etablierter Medien und des gesamten Mediensystems infrage gestellt wird. Trotz einer im internationalen Vergleich recht großen Stabilität des Medienvertrauens in Deutschland können die Ergebnisse zum Medienzynismus als alarmierend aufgefasst werden: In der aktuellen Erhebung steigt die Zustimmung zur Aussage "Die Medien untergraben die Meinungsfreiheit in Deutschland" im Vergleich zum Vorjahr um 5 Prozentpunkte auf 20 Prozent an und erreicht damit einen neuen Höchststand.
Auch das "Lügenpresse"-Narrativ gewinnt an Rückhalt: In der aktuellen Erhebungswelle stimmt jeder Fünfte der Aussage zu, dass die Bevölkerung von den Medien systematisch belogen werde. Zwei Jahre zuvor lag dieser Wert bei 14 Prozent. Deutlich abgenommen hat darüber hinaus die Ablehnung der Aussage, dass die Medien und die Politik Hand in Hand arbeiten würden, um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren: Nur noch 51 Prozent halten diese Aussage für unzutreffend, im Vorjahr waren es 56 Prozent. Auch wenn sich die Zunahme medienzynischer Einstellungen derzeit nicht im allgemeinen Medienvertrauen niederzuschlagen scheint, kann das Forschungsteam zeigen, dass ein Anstieg des Medienzynismus mit einem geringeren allgemeinen Medienvertrauen einhergeht.
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk trotz Tiefstwert im Vertrauen weiter an erster Stelle
Wie in den Vorjahren liegt der öffentlich-rechtliche Rundfunk beim Vertrauen an der Spitze unterschiedlicher Mediengattungen: 61 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sagen, dass man der Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks überwiegend oder vollkommen vertrauen kann. Im Jahr zuvor waren es 64 Prozent. Der aktuelle Wert ist allerdings der niedrigste, der bisher in der Langzeitstudie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gemessen wurde. Hier lässt sich ein Schwund im Vertrauen festhalten: Während der COVID-19-Pandemie lagen die Vertrauenswerte zeitweise bei 70 Prozent, im Jahr 2019 bei 67 Prozent.
Der Berichterstattung von Lokalzeitungen vertrauen in der aktuellen Erhebungswelle 56 Prozent (Vorjahr 59 Prozent). Das Vertrauen in überregionale Tageszeitungen liegt bei 55 Prozent (Vorjahr 52 Prozent). Die Veränderungen liegen innerhalb der statistischen Fehlertoleranz. Unverändert gering – bei nur drei Prozent – bleibt das Vertrauen in die Berichterstattung von Boulevardzeitungen. Die einzige klare Vertrauensschwankung betrifft den privaten Rundfunk: Gaben 2023 noch 22 Prozent der Befragten an, diesem zu vertrauen, sind es in der aktuellen Erhebungswelle nur noch 17 Prozent.
Medien im Vergleich zu anderen Institutionen im Mittelfeld
Im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Institutionen schneiden die Medien beim Vertrauen – wie in vorangegangenen Wellen – nicht besonders schlecht ab, sondern eher im Mittelfeld. Mehr Vertrauen als den Medien schenken die Bürgerinnen und Bürger der Justiz (63 Prozent) und der Wissenschaft (72 Prozent). Knapp hinter den Medien liegt die Bundeswehr (45 Prozent). Deutlich schlechter als die Medien schneiden im Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger die Politik (19 Prozent) und die Kirchen (14 Prozent) ab.
Zur Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen
Die langfristig angelegte Studie zum Medienvertrauen basiert auf mehr als einem Jahrzehnt kommunikationswissenschaftlicher Vertrauensforschung an den Universitäten Mainz und Düsseldorf. Im Mittelpunkt stehen repräsentative Befragungen, die die Entwicklungen, Ursachen und Folgen des Vertrauens erheben. Zum Forschungsteam gehören aktuell Prof. Dr. Nayla Fawzi, Prof. Dr. Nikolaus Jackob, Dr. Ilka Jakobs, Prof. Dr. Oliver Quiring, Prof. Dr. Christian Schemer, Prof. Dr. Tanjev Schultz, Daniel Stegmann, Dr. Christina Viehmann und Prof. Dr. Marc Ziegele.
Die Studie wird seit 2022 von der Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt. Die Unterstützung dient dazu, die Kosten des Umfrage-Dienstleisters Verian (vormals Kantar) zu tragen. Die Konzeption der Fragebögen und die Auswertung der Daten liegen in Händen des Forschungsteams.