Mainzer Wissenschaftler identifizieren neuen Faktor der Autophagie

Erkenntnisse bieten Ansatzpunkte zur Entwicklung neuer Konzepte gegen neurodegenerative Erkrankungen

04.02.2015

Neurodegenerative Erkrankungen wie die Alzheimerkrankheit sind vielfach durch Proteinablagerungen im Gehirn gekennzeichnet. Diese bestehen aus fehlerhaften, unlöslichen Proteinen, die weder ihre Funktion erfüllen noch von der Zelle abgebaut werden können. Der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Christian Behl vom Institut für Pathobiochemie der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ist es jetzt gelungen, mit dem sogenannten RAB3GAP-Komplex einen neuen Faktor zu identifizieren, der den Abbau von Proteinen beeinflusst. Die Wissenschaftler konnten ihn der Autophagie zuordnen, einem Prozess, in dem die Zelle eigene Bestandteile in ihre Komponenten zerlegt, um sie unschädlich zu machen oder wiederzuverwerten. Aus den Erkenntnissen ergeben sich neue Ansatzpunkte, um therapeutische und präventive Konzepte gegen neurodegenerative Erkrankungen entwickeln zu können. Ihre Forschungsergebnisse hat die Arbeitsgruppe in der Fachzeitschrift Autophagy veröffentlicht.

Das Team um Prof. Dr. Christian Behl und Dr. Andreas Kern konnte zeigen, dass der RAB3GAP-Komplex den Abbauprozess von Proteinen entscheidend beeinflusst, indem er einen bedeutenden Faktor des zellulären Autophagienetzwerks darstellt. Autophagie bezeichnet einen Prozess, bei dem die Zelle eigene Bestandteile sozusagen verdaut – dies können überzählige oder geschädigte Organellen, wie Mitochondrien, sein, eingedrungene Erreger, wie Viren oder Bakterien, oder zytoplasmatische Makromoleküle. Die Autophagie dient zum einen dem Wiederverwerten von Zellbausteinen und dem Energiegewinn, wird aber auch gezielt in Stresssituationen aktiviert. "Der kontrollierte Proteinabbau durch die Autophagie ist eine zentrale Säule der Proteinhomöostase, des komplexen Zusammenspiels von Synthese, Faltung und Abbau von Proteinen. Indem wir neue Faktoren dieses Prozesses identifiziert haben, konnten wir unser Verständnis für altersabhängige Störungen erweitern", so Behl.

Die Forschungsgruppe fand heraus, dass der RAB3GAP-Komplex die Bildung autophagischer Vesikel unterstützt. Dabei handelt es sich um Bläschen mit einer Lipidhülle, die die abzubauenden Substrate in ihr Inneres einschließen. Die autophagischen Vesikel verschmelzen dann mit Lysosomen, einfachen Zellorganellen, die Verdauungsenzyme enthalten und die Substrate in ihre Bestandteile zerlegen. "Damit sich autophagische Vesikel bilden können, braucht es Lipidmembranen, deren Verfügbarkeit die Zelle gewährleisten muss. Unsere Entdeckung legt nahe, dass der RAB3GAP-Komplex Lipide rekrutiert, die für den Abbau von Proteinen mittels Autophagie benötigt werden“, erläutert Dr. Andreas Kern vom Institut für Pathobiochemie, der die Experimente federführend leitete. Bislang war nur bekannt, dass der RAB3GAP-Komplex für die Regulation der RAB GTPase RAB3 wichtig ist und den Vesikeltransport an den Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen, den Synapsen, beeinflusst. Die nun aufgezeigte duale Funktionalität des Komplexes ist besonders im Hinblick auf Erkrankungen des Nervensystems von besonderer Bedeutung.

Die Entdeckung der Mainzer Wissenschaftler basiert auf Experimenten mit dem Fadenwurm C. elegans, der als vereinfachtes Modell unter anderem für das menschliche Nervensystem herangezogen wird. In C. elegans haben die Biochemiker circa 2.500 Gene mittels spezieller molekularbiologischer Methoden gezielt einzeln ausgeschaltet und die Effekte auf die Proteinaggregation analysiert. Den Wissenschaftlern gelang es so, zahlreiche Gene zu identifizieren, deren Abschaltung zu einer verstärkten Proteinablagerung führte. Die genaue Analyse der Funktion erfolgte dann in humanen Kulturzellen.

Die Arbeitsgruppe am Institut für Pathobiochemie konnte zudem zeigen, dass die positive Modulation der Autophagie durch den RAB3GAP-Komplex einem bereits bekannten negativen Autophagieregulator entgegenwirkt. "Unsere Hypothese ist, dass die Balance der beiden entgegengesetzt wirkenden Moleküle die autophagische Gesamtaktivität von Zellen bestimmt. Wir glauben, dass wir nicht nur dem Verständnis des Prozesses der Autophagie näher gekommen sind. Vielmehr sehen wir die Chance, mit seiner gezielten Modulation neue Ansatzpunkte für die Therapie und die Prävention neurodegenerativer Erkrankungen entwickeln zu können", so Prof. Dr. Christian Behl.

Neben den Mainzer Wissenschaftlern waren am mehrjährigen Forschungsprojekt auch Biochemiker der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt beteiligt. Es wurde auf breiter Ebene von der Alzheimer Forschung Initiative e.V., der Deutschen Forschungsgemeinschaft – unter anderem im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1080 "Molekulare und zelluläre Mechanismen neuronaler Homöostase" –, dem Europäischen Forschungsrat (ERC) und mehreren Stiftungen unterstützt.