Grundlagenforscher verwirklichen in Bose-Einstein-Kondensat ersted hochparalleles Quantengatter für einen Quantencomputer
30.10.2003
In neuesten Experimenten haben Grundlagenforscher von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik und der Ludwig-Maximilians-Universität München eine außerordentliche Kontrolle über Materie am absoluten Nullpunkt erreicht. Dazu präparierten die Wissenschaftler um Immanuel Bloch und Theodor W. Hänsch zunächst eine Art "Rechenregister" aus einzelnen Atomen, die selbst wiederum in einem künstlichen Kristall aus Licht gefangen sind. In der aktuellen Ausgabe der internationalen Fachzeitschrift Nature berichten die Forscher, wie sie ein hochparalleles Quantengatter durch die kontrollierte Wechselwirkung zwischen benachbarten Atomen realisiert haben. Solche Quantengatter sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem skalierbaren Quantencomputer und eröffnen neue Perspektiven für genaueste Zeitmessungen.
Im Jahr 2001 wurde der Physik-Nobelpreis für bahnbrechende Arbeiten zur Erzeugung von Bose-Einstein-Kondensaten vergeben. Das ist – neben den bisherigen vier Aggregatzuständen fest, flüssig, gasförmig und Plasma – eine völlig neuartige Form von Materie. Wenige milliardstel Grad über dem absoluten Nullpunkt verlieren die einzelnen Atome eines Gases ihre Eigenständigkeit und verhalten sich wie ein einziges, quantenmechanisches Objekt, eine Art "Superatom". Dieses kollektive Verhalten wurde Anfang der 1920er-Jahre von dem indischen Physiker Satyendra Nath Bose (1894-1974) und Albert Einstein (1879-1955) vorausgesagt. In diesem nach seinen Entdeckern benannten Zustand, dem Bose-Einstein-Kondensat, haben alle Atome dieselben physikalischen Eigenschaften, gemeinsam besetzen sie das tiefstmögliche Energieniveau. Das Kondensat verhält sich wie eine einzige Welle, die Atome marschieren quasi im Gleichschritt.
Jetzt haben Mainzer und Münchner Forscherkollegen die Materiewelle eines Bose-Einstein-Kondensats zunächst aufgebrochen und seine einzelnen Atome in ein Lichtgitter aus Tausenden von laserpinzettenartigen Mikrofallen geladen. Auf diese Weise bildet sich ein so genannter Mott-Isolator-Zustand der Materie, in dem jeder Gitterplatz mit genau einem einzelnen Atom besetzt ist. Dieses Gitter mit mehr als 100.000 Atomen ist Ausgangspunkt für weitere Experimente und stellt ein ideales quantenmechanisches Rechenregister dar. Jedes einzelne Atom in diesem Gitter ist dabei ein so genanntes Quantenbit (Q-Bit) mit zwei internen Zuständen, 0 und 1.
Doch wie kann man nun die zunächst voneinander isolierten Quanten-Bits miteinander in Wechselwirkung bringen? Dazu bedienen sich die Forscher eines "Quanten-Förderbandes", indem sie die interne Struktur der einzelnen Atome ausnutzen und verschiedene Zustände in verschiedene Richtungen transportieren. Wählt man nämlich geeignete Werte für Frequenz und Polarisation des für einen solchen Lichtkristall verwendeten Lasers, so kann man erreichen, dass ein Atom im Zustand 0 zum Beispiel nach links, ein Atom im Zustand 1 aber nach rechts transportiert wird. Dabei lässt sich über die Polarisation der Laserstrahlen genau kontrollieren, wie weit sich die Atome bewegen dürfen.
Eine wichtige Eigenschaft der Quanten-Bits ist nun, dass sie sich nicht nur entweder im Zustand 0 oder 1 befinden können, sondern auch in einem "Überlagerungszustand" aus 0 und 1 präpariert werden können. In einem solchen Überlagerungszustand ist jedes einzelne Atome gleichzeitig in den Zuständen 0 und 1. Schaltet man nun das Quantenförderband ein, so spaltet sich das einzelne Atom gewissermaßen auf und bewegt sich gleichzeitig sowohl nach links als auch nach rechts. In dem Gitter aus einzelnen Atomen passiert dies für jedes einzelne Atom. Wenn man das Förderband nur so lange einschaltet, bis sich die Atome um genau einen Gitterplatz bewegt haben, trifft jedes Atom an einem gemeinsamen Gitterplatz auf seinen nächsten Nachbarn.
Befinden sich zwei Atome an einem Gitterplatz, so kommt es zu einer kontrollierten Stosswechselwirkung zwischen beiden Atomen, die als Grundlage für ein einzelnes Quantengatter dient. Nach dieser Stosswechselwirkung lässt man das Förderband wieder rückwärts laufen, so dass die Atome zurück zu ihren ursprünglichen Gitterplätzen transportiert werden. Man könnte zunächst glauben, dass Stöße zwischen Atomen zu einer unkontrollierten Entwicklung des atomaren Systems führen und daher ungeeignet für die komplexe und äußerst empfindliche Realisierung eines Quantengatters sind. Doch Peter Zoller von der Universität Innsbruck und Ignacio Cirac (jetzt Max-Planck-Institut für Quantenoptik, Garching) haben in ihren Arbeiten gezeigt, dass die Stöße bei ultrakalten Temperaturen perfekt kontrollierbar sind.
In einem solchen einzelnen Quantengatter wechselwirkt jedes Atom mit seinen rechten und linken Nachbaratomen gleichzeitig und diese wechselwirken wiederum mit ihren Nachbarn. Der Prozess kann mit einer Kette von Menschen veranschaulicht werden, in der jeder seinem rechten und linken Nachbarn die Hand gibt; auch entfernte Personen sind dann in gewisser Weise miteinander verbunden, auch wenn sie sich nicht direkt die Hand geben. Durch diese Kette von gleichzeitigen atomaren Wechselwirkungen entstehen Korrelationen zwischen Atomen, auch wenn sie nicht direkt benachbart sind und ein hochparalleles Quantengatter-Netzwerk bildet sich heraus. Die Münchner Theorie-Arbeitsgruppe um Hans Briegel hat berechnet, dass bei der Anwendung dieses Quantengatter Netzwerks ein neuer hochgradig "verschränkter" Zustand in diesem Vielteilchensystem entsteht, der unter anderem auch als "Schaltkreis" für einen Quantencomputer verwendet werden kann. Das Experimentatoren-Team um Immanuel Bloch und Theodor Hänsch konnte nun die Wirkungsweise dieser hochparallelen Quantengatter direkt nachweisen und damit einen wichtigen Schritt in Richtung auf einen skalierbaren Quantencomputer vollziehen.
Anders als bei herkömmlichen Computern, bei denen eine Rechnung nach der anderen abgearbeitet werden muss, könnten Quantencomputer durch die Überlagerungszustände der Quanten-Bits viele Operationen gleichzeitig ausführen und wären damit für bestimmte Aufgaben den klassischen Rechnern weit überlegen.