Männchen der Gelben Spinnerameise tragen zwei Genome in jeweils unterschiedlichen Zellen
11.04.2023
Sie gilt als eine der schlimmsten invasiven Arten der Welt: die Gelbe Spinnerameise oder Anoplolepis gracilipes. Allerdings beschäftigt sich ein internationales Forscherteam nicht aus diesem Grund mit dieser Ameisenart. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interessieren sich vielmehr für die Fortpflanzung der Insekten, wobei insbesondere die Männchen die Wissenschaft bislang vor Rätsel gestellt haben. "Frühere genetische Studien an Gelben Spinnerameisen haben gezeigt, dass Männchen dieser Art zwei Kopien jedes Chromosoms tragen. Dies war unerwartet, da sich Männchen typischerweise aus unbefruchteten Eiern entwickeln und nur einen mütterlichen Chromosomensatz tragen – bei Ameisen ebenso wie bei Bienen und Wespen", erläutert Dr. Hugo Darras, Assistenzprofessor an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und Erstautor der kürzlich in Science erschienenen Studie. "Dies veranlasste uns dazu, detaillierte Folgeexperimente durchzuführen."
Zwei Genome in unterschiedlichen Zellen
Die Ergebnisse erstaunen: Die bisherige Annahme, dass die Männchen der Gelben Spinnerameise in allen ihren Zellen das gleiche genetische Material tragen, trifft keineswegs zu, wie das Team zeigen konnte. "Wir haben entdeckt, dass Ameisen-Männchen mütterliche und väterliche Genome in verschiedenen Zellen ihres Körpers tragen und damit Chimären sind. Anders gesagt: Die Männchen tragen zwei Genome in ihrem Körper, wobei jedoch jede Zelle ihres Organismus nur eines der beiden Genome trägt", fasst Darras zusammen. Üblicherweise weisen die Zellen vielzelliger Organismen alle das gleiche genetische Material auf, sei es bei Mensch, Hund oder Fledermaus.
Der Grund für dieses doppelte Erbgut bei Männchen der Gelben Spinnerameise liegt darin, dass sie sich aus befruchteten Eiern entwickeln, in denen die väterlichen Nuklei nicht verschmelzen. Stattdessen teilen sich die mütterlichen und väterlichen Nuklei unabhängig voneinander, was dazu führt, dass erwachsene Männchen die mütterlichen und väterlichen Genome in verschiedenen Zellen ihres Körpers tragen. Verschmelzen die Genome, entwickeln sich die Eier je nach genetischer Information des Spermiums zu einer Königin oder einer Arbeiterin. Welche Mechanismen steuern, ob ein solches Verschmelzen stattfindet oder nicht, ist derzeit noch nicht bekannt.
Chimärismus: Eine für die Wissenschaft neue Art der Fortpflanzung
Chimären, also Individuen aus genetisch unterschiedlichen Zellen, kommen natürlicherweise in manchen Organismen wie Korallen oder Seeteufeln vor, denn hier können verschiedene Individuen zu einem Individuum verschmelzen. Auch bei Menschen und anderen Plazentatieren kann Chimärismus auftreten. Während der Entwicklung tauschen Mutter und Fötus eine kleine Anzahl von Zellen aus, das Baby trägt daher einige Zellen mit dem gleichen genetischen Material wie die Mutter. Auch zwischen Zwillingen können solche winzigen genetischen Austausche stattfinden. "Bei der Gelben Spinnerameise stammt der Chimärismus jedoch nicht aus der Verschmelzung verschiedener Individuen oder aus dem Zellaustausch zwischen Individuen. Vielmehr wird er in einem einzigen befruchteten Ei etabliert. Das ist einzigartig", sagt Darras. Die Gelbe Spinnerameise umgeht damit das fundamentale Gesetz der genetischen Vererbung, dass alle Zellen das gleiche Genom tragen.