Langstreckenzieher unter den Zugvögeln durch Klimaveränderung stark bedroht

Anzahl und Anteil der Langstreckenzieher bereits dramatisch zurückgegangen / Weitere Abnahme zu erwarten

12.03.2003

Die Langstreckenzieher unter den Zugvögeln, die Europa im Herbst verlassen und südlich der Sahara im tropischen Afrika überwintern, sind durch die globale Klimaveränderung stark bedroht. Wissenschaftlerinnen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben festgestellt, dass infolge der wärmeren Winter in der Bodenseeregion sowohl Anzahl als auch Anteil der Langstreckenzieher, wie beispielsweise Rauchschwalbe, Wendehals oder Gartenrotschwanz, dramatisch abgenommen haben. Gleichzeitig nahmen Zahl und Anteil von Kurzstreckenziehern, die im Mittelmeerraum überwintern, und Standvögeln zu. "Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass die zunehmend wärmeren Winter für die Langstreckenzieher eine größere Bedrohung darstellen als für andere Vogelgruppen", schreiben Nicole Lemoine und Katrin Böhning-Gaese in der Fachzeitschrift Conservation Biology.

Ihre Ergebnisse zeigen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Klimaveränderungen und Veränderungen bei den Vogelgemeinschaften. "Die Langstreckenzieher scheinen eine der Gruppen im Tierreich zu sein, die besonders unter der globalen Erwärmung leiden", erklärt Böhning-Gaese. "Und der erwartete weitere Temperaturanstieg wird voraussichtlich noch einen weiteren Rückgang bei den Langstreckenziehern verursachen."

Warum diese Vogelgruppe besonders unter der Klimaerwärmung leidet, lässt sich vermutlich mit dem Futterangebot erklären. "Standvögel müssen mit den hiesigen Bedingungen im Winter auskommen", erläutert Böhning-Gaese. Die Hälfte bis drei Viertel der Population stirbt über den Winter. Im Frühjahr können die überlebenden Tiere das dann reichliche Futterangebot nicht nutzen, so dass Zugvögel, die aus ihrem Winterquartier zurückkommen, ein ausreichendes Nahrungsangebot vorfinden. Durch höhere Wintertemperaturen haben Standvögel eine größere Überlebenschance, dadurch verringert sich das Futterangebot im Frühjahr und für die zurückkehrenden Zugvögel steht weniger zur Verfügung. Dies erklärt auch, weshalb Südosteuropa mit seinen kalten Wintern viele Langstreckenzieher beherbergt, während im Nordwesten unseres Kontinents, etwa in Irland, nur wenige zu finden sind.

Bei ihren Untersuchungen haben Lemoine und Böhning-Gaese auf die Klimadaten für die Zeiträume 1979 bis 1981 und 1989 bis 1992 im Bodenseeraum zurückgegriffen. Dabei zeigte sich für den jeweils kältesten Wintermonat ein Temperaturanstieg um 2,4 Grad, während Temperatur und Niederschläge im Frühjahr nahezu unverändert blieben. Berechnungen, wie sich die Vogelpopulationen aufgrund des Temperaturanstiegs verändert haben könnten, stimmten mit den tatsächlich vorliegenden Daten zu den Bestandsveränderungen überein. "Der dramatische Rückgang bei den Langstreckenziehern lässt sich perfekt mit den beobachteten Klimaveränderungen erklären", so Böhning-Gaese. "Und anhand weiterer Untersuchungen für die Periode 2000 bis 2002 gehen wir davon aus, dass sich der negative Trend fortgesetzt hat", sagt Lemoine. Auch wenn sich die Untersuchungen bislang auf die Bodenseeregion beschränken, – insbesondere weil Hobbyornithologen hier eine hervorragende Datenbasis geschaffen haben – so ist das festgestellte Muster auf ganz Europa zu übertragen.

Dass die Langstreckenzieher, die bis zu ihrem Winterquartier 3.000 oder 4.000 Kilometer zurücklegen, auch durch andere Ereignisse in ihrer Zahl dezimiert werden, schließen die Forscherinnen nicht aus. "Die Jagd im Mittelmeerraum ist sicherlich ein Problem, vor allem für die größeren Vögel", sagt Böhning-Gaese. In Afrika wird der Lebensraum durch die höhere Bevölkerungsdichte und Überweidung eingeschränkt, die Bekämpfung von Heuschreckenplagen verringert das Nahrungsangebot zusätzlich. Um so wichtiger wäre es, dass die Vögel bei ihrer Rückkehr nach Europa eine intakte Kulturlandschaft vorfinden, die ihnen eine größere Überlebensrate sichert. "Streuobstwiesen wären für diese Vögel sicherlich sehr viel besser als eine intensive landwirtschaftliche Nutzung der Flächen mit Düngemittel- und Pestizideinsatz", so Böhning-Gaese.