Ethnien und Nationen, Religion und Geschlecht: Forschungsverbund untersucht Kategorisierung von Menschen
03.01.2013
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat die Einrichtung einer neuen Forschergruppe an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) zum Thema "Un/doing Differences. Praktiken der Humandifferenzierung" bewilligt. Die beteiligten acht Wissenschaftler aus der Soziologie, Ethnologie, Amerikanistik, Theaterwissenschaft und der Germanistischen Linguistik werden sich in dem zunächst auf sechs Jahre angelegten Forschungsverbund mit der kulturellen Humandifferenzierung befassen und untersuchen, wie Unterschiede zwischen einzelnen Menschen und Gemeinschaften entstehen oder gemacht werden, wie sie sich verändern oder wieder aufgehoben werden. Sprecher der neuen DFG-Forschergruppe ist Prof. Dr. Stefan Hirschauer vom Institut für Soziologie. Eine Forschergruppe der DFG ist ein enges Arbeitsbündnis mehrerer herausragender Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die gemeinsam ein innovatives Forschungsthema über einen längeren Zeitraum bearbeiten wollen. Forschergruppen sollen dazu beitragen, neue Arbeitsrichtungen zu etablieren.
Humandifferenzierung meint die Einteilung oder Zuordnung von Menschen in Mitgliedschaften und Gruppen wie Ethnien, Nationen, Sprachgruppen oder Religionen und die binnengesellschaftliche Unterscheidung aufgrund von Merkmalen wie Alter und Geschlecht oder Leistungen in Schule, Beruf und Sport. Zu den Kategorisierungen von Menschen gibt es eine kaum überschaubare Vielfalt von Forschungszweigen, auf die sich die neue DFG-Gruppe in ihrer Arbeit stützen, aber auch darüber hinausgehen wird. Sie baut dazu auf wichtigen Leitdifferenzen auf, um die herum sich große eigenständige Forschungsgebiete gebildet haben: Ethnizität, "Rasse", Nationalität, Religion, Geschlechterdifferenz – vermutlich der kulturgeschichtlich älteste Fall der Humandifferenzierung – und Leistungsklassen.
Die verschiedenen Differenzierungen werden üblicherweise getrennt voneinander in diesen einzelnen Forschungszweigen (etwa den Gender Studies oder Race Studies), aber auch disziplinär isoliert in der Sozial- und Kulturanthropologie, Soziologie und Politikwissenschaft, Geschichts- und Literaturwissenschaft, Linguistik und Sozialpsychologie untersucht. Zum einen zeigten sich dabei erhebliche Spannungen zwischen sozialwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Ansätzen, zum anderen wird von allen Seiten immer wieder festgestellt, dass es an der Bestimmung allgemeiner Merkmale fehlt, die den Praktiken kultureller Kategorisierung und Grenzziehung gemeinsam sind. "Wir wollen die vielen Mitgliedschaften von Individuen erstmalig in ihrer tatsächlichen Konkurrenz zueinander beobachten und dabei beleuchten, dass Menschen nicht einfach 'unterschiedlich sind', sondern in der sozialen Praxis mal so, mal so unterschieden werden – oder eben nicht unterschieden werden", erläutert Hirschauer.
Die acht Teilprojekte der Gruppe greifen jeweils verschiedene Aspekte der übergeordneten Fragestellungen auf, setzen aber auch eigene Schwerpunkte. Zwei Afrika-ethnologische und zwei amerikanistische Projekte konzentrieren sich primär auf kulturelle Grenzziehungen zwischen Gemeinschaften. Vier Projekte aus der Soziologie, Linguistik und Theaterwissenschaft nehmen kulturelle Kategorisierungen von Individuen in den Blick. Am Ende des zunächst auf drei, insgesamt auf sechs Jahre angesetzten Projektverbunds können vielleicht die Fragen beantwortet werden, unter welchen Bedingungen wir Menschen unterscheiden und Kategorien zuweisen, wann Differenzen aufgebaut oder suspendiert werden oder welche Funktion überhaupt die Einteilung in 'Menschensorten' erfüllt.