Internationales Forscherteam untersucht Verformung einzelner Metallkristalle im Nanometerbereich

Experimente profitieren von extremer Stabilität und weiteren ungewöhnlichen Eigenschaften von Kohlenstoff-Nanoröhrchen

29.05.2006

Kohlenstoff-Nanoröhrchen können bei Bestrahlung mit Elektronen einen so starken Druck erzeugen, dass sich winzige kristalline Drähte, die im inneren Hohlraum der Röhrchen eingeschlossen sind, massiv verformen. Dies hat eine internationale Zusammenarbeit der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) mit Forschergruppen in Finnland, Mexiko und den USA gezeigt. Das Wissenschaftsjournal Science hat die Ergebnisse in seiner jüngsten Ausgabe publiziert. "Die Bedeutung dieses Experiments besteht darin, dass es erstmals möglich ist, die Verformung einzelner Metallkristalle mit Abmessungen im Nanometerbereich direkt zu untersuchen", erläutert Prof. Dr. Florian Banhart von Institut für Physikalische Chemie der JGU. Kohlenstoff-Nanoröhrchen seien dazu ideale Nano-Laboratorien. Forschungen im Nanobereich erfolgen in einer Größenordnung von einigen millionstel Millimetern. Bei den Kohlenstoff-Nanoröhrchen handelt es sich um winzige, künstlich hergestellte Röhrchen, die aus Kohlenstoffatomen bestehen, die in einem Muster ähnlich dem von Bienenwaben angeordnet sind.

In den vergangenen Jahren sind viele ungewöhnlichen Eigenschaften von Kohlenstoff-Nanoröhrchen entdeckt worden. Ein Beispiel ist ihre extreme mechanische Stabilität, die von der starken Bindung zwischen Kohlenstoffatomen in einer Graphitlage herrührt und dafür sorgt, dass Kohlenstoffröhrchen die höchste Reißfestigkeit aller heute bekannten Materialien haben. Experimente, die kürzlich an der JGU unternommen wurden, haben gezeigt, dass die hohe Stabilität von Nanoröhrchen auch dann erhalten bleibt, wenn Kohlenstoffatome in den graphitischen Lagen fehlen. Die Experimente wurden in einem hochauflösenden Elektronenmikroskop durchgeführt, in dem mit dem hochenergetischen Elektronenstrahl Kohlenstoffatome aus den zylindrischen Graphitschalen herausgeschlagen werden können. Gleichzeitig kann die Struktur mit atomarer Auflösung abgebildet werden. Es wurde beobachtet, dass die hohlen Graphitzylinder unter Elektronenbestrahlung schrumpfen, aber nicht zerstört werden. Dies war zunächst überraschend, konnte dann aber in Zusammenarbeit mit einer Theoriegruppe in Helsinki erklärt werden. Leerstellen im Graphitgitter, also Lücken, die nach dem Herausschießen einzelner Kohlenstoffatome zurückbleiben, haben eine unerwartet hohe Beweglichkeit bei den Temperaturen des Experiments von rund 600 Grad Celsius und können sich somit zu Doppelleerstellen vereinigen. Diese Doppelleerstellen sind jedoch instabil und kollabieren durch Schließen der offenen Bindungen, sodass wieder eine geschlossene Graphitlage entsteht. Diese besteht nicht mehr nur aus Sechserringen, wie dies im perfekten Graphit der Fall ist, sondern enthält dann auch Fünfer- oder Siebenerringe. Die Graphitstruktur heilt sich somit selbst, wenn Atome fehlen, und behält auch ihre hohe Reißfestigkeit. Allerdings nimmt ihre Oberfläche ab, sodass die zylindrisch geschlossenen Graphithüllen kontrahieren.

Sind die Röhrchen nun nicht leer, sondern mit anderen Materialien gefüllt, sollte man erwarten, dass ein Schrumpfen der Röhrchen nicht ohne Weiteres möglich ist, denn von dem eingeschlossenen Material müsste ja Gegendruck ausgehen. In den Mainzer Experimenten wurde aber beobachtet, dass die Kontraktion der Röhrchen so heftig ist, dass die eingeschlossenen Metallkristalle massiv deformiert und schließlich aus den Röhren in Längsrichtung herausgequetscht werden. Rechnungen zeigen, dass in den kollabierenden Nanoröhrchen bei einem solchen Experiment Drücke von bis zu 400.000 Atmosphären in radialer Richtung auftreten können. Dies ist bei Weitem genug, um auch harte Materialien zu verformen.

Die hohe Auflösung des Elektronenmikroskops, in dem das in-situ-Experiment abläuft, ermöglicht es, die Verformung mit atomarer Auflösung zu beobachten. Nach Darstellung von Prof. Dr. Florian Banhart sind solche Studien vor allem deshalb interessant, weil nanokristalline Materialien, also Festkörper, die aus extrem kleinen Kristalliten aufgebaut sind, eine ungewöhnlich hohe Härte besitzen und deshalb bereits seit einigen Jahren technisch eingesetzt werden. "Die mechanischen Eigenschaften nanokristalliner Materialien sind jedoch noch wenig verstanden, unter anderem deshalb, weil das Verformungsverhalten einzelner Kristallite, also einkristalliner Körner, aus denen das Material aufgebaut ist, noch nicht untersucht werden konnte", erklärt der Physiker. Dazu können Experimente, wie sie jetzt in Mainz gelungen sind, künftig beitragen.