Herzchirurgen der Universitätsmedizin Mainz setzen erstmals Stent in große Lungenschlagader ein

Innovatives Operationsverfahren bei chronischer Lungenembolie

20.11.2013

Bei einer chronischen Lungenembolie drohen Betroffene zu ersticken. Blutgerinnsel verfestigen sich dabei in der Lungenschlagader und es kommt zu ihrem vollständigen Verschluss. Die Sterblichkeit der schwerstkranken Menschen bei Operationen liegt bei 10-15 Prozent. Ohne Operation überleben die Betroffenen die Erkrankung nicht. Ein Team um den Direktor der Klinik und Poliklinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie der Universitätsmedizin Mainz, Prof. Dr. Christian-Friedrich Vahl, hat jetzt erstmals bei einer Patientin mit chronischer Lungenembolie einen Stent in der großen Lungenschlagader eingesetzt. Das innovative Operationsverfahren ist gelungen: Die Patientin bedarf vier Wochen nach dem Eingriff keiner zusätzlichen Sauerstoffzufuhr mehr und die Funktion der rechten Herzkammer zeigt sich deutlich verbessert.

Bei diesem neuartigen OP-Verfahren haben sich Vahl und sein Team an der standardmäßigen Behandlung von Verstopfungen in Beingefäßen orientiert. "Dabei platzieren die Spezialisten für endovaskuläre Gefäßchirurgie Stents – also Gefäßstützen – in den Beckenarterien, in der Leistenarterie und in der Hauptschlagader", erläutert Vahl. "Allerdings ist das Übertragen der etablierten Technik auf dieses komplett neue Gebiet eine echte Herausforderung. Denn es ist ein gewagter Schritt, in die große Lungenschlagader zu kommen und dort einen Stent in einem Niederdrucksystem einzusetzen."

"Das gedankliche Konzept ist tatsächlich ganz einfach", unterstreicht Oberarzt Marwan Youssef, der den Eingriff durchführte. "Es ist wie bei den Verstopfungen in Beingefäßen. Es gibt Patienten, bei denen die Arterien im Becken verstopft sind und auch die Arterien im Bein selbst. Die Patienten können nicht mehr laufen. Wenn wir einen Stent im Becken einbauen, kann der Betroffene oft schon wieder laufen, ohne dass man die anderen Einengungen im Bein behandelt. Ähnlich ist es auch bei manchen Formen der chronischen Lungenembolie", so Youssef.

"Durch das Platzieren des Stents in der großen Lungenschlagader wird das einengende Material in die Gefäßwand gedrückt. Zudem werden auch die kleinen Gefäße 'saubergeputzt'", erklärt Oberarzt Dr. Ömer Senbaklavaci, Leiter der Sektion Thoraxchirurgie, die der innovativen OP-Technik zugrunde liegende Idee. "In der Konsequenz kann ein Patient im Einzelfall sofort wieder atmen und auch das Herz erholt sich", so Senbaklavaci, der die konventionellen Operationen der Lungenschlagader durchführt.

Bei der neuen Methode wird die Lungenfunktion während des Eingriffs durch eine künstliche Lunge unterstützt, die minimal invasiv angeschlossen wird. Üblicherweise erfordern derart komplexe chirurgische Eingriffe einen künstlich herbeigeführten Kreislaufstillstand mit Abkühlung des Patienten auf 18 Grad Celsius.

"Man muss ehrlicherweise sagen, dass wir den ersten Versuch im Interesse der Patientensicherheit abgebrochen hatten. Erst im zweiten Anlauf haben wir es geschafft. Für dieses Verfahren gibt es allerdings auch keinerlei Tiermodell zum Üben. Man muss die ganze Erfahrung, die man als Gefäßchirurg mit Stents gesammelt hat, auf ein gänzlich anderes Gebiet übertragen", so Vahl.

Die sog. chirurgisch offene Embolektomie bleibt zunächst das Standardverfahren in Mainz. "Wir haben aber jetzt bei der chronischen Lungenembolie einen Pfeil mehr im Köcher", so der Medizinische Vorstand und Vorstandsvorsitzende der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), Prof. Dr. Norbert Pfeiffer. "Das Verfahren wird weiterentwickelt und kann möglicherweise einmal zum Standard werden."