Sedimentbohrkerne aus Eifelmaaren geben Aufschluss über Entwicklung eiszeitlicher Großsäuger in Mitteleuropa während der vergangenen 60.000 Jahre / Overkill-Hypothese nicht bestätigt
08.12.2022
GEMEINSAME PRESSEMITTEILUNG DES MAX-PLANCK-INSTITUTS FÜR CHEMIE UND DER JOHANNES GUTENBERG-UNIVERSITÄT MAINZ
Über mehrere zehntausend Jahre hinweg sind Herden von Großsäugetieren wie Mammut und Bison durch die Landschaft im heutigen Mitteleuropa gezogen. Mit der zunehmenden Bewaldung zum Ende der letzten Eiszeit nahmen die Bestände jedoch ab und vor rund 11.000 Jahren verschwanden die großen Säugetiere vollständig aus dieser Region. Die Waldentwicklung ist damit der wichtigste Faktor, der die Anwesenheit von Großsäugern in Mitteleuropa steuert. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die unter der Leitung von Prof. Dr. Frank Sirocko von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) durchgeführt wurde. Mit Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Chemie, der University of Wollongong in Australien und der Universität Göttingen wurden Ablagerungen aus zwei Eifelmaaren untersucht, die Aufschluss über die Entwicklungen der letzten 60.000 Jahre geben. Demnach waren Jäger und Großsäuger über mehrere Jahrtausende hinweg parallel anwesend. "Wir haben anhand der Sedimente aus den Eifelmaaren keine Belege gefunden, dass Jäger die Tiere ausgerottet hätten", so Sirocko. Die in Nordamerika diskutierte Overkill-Hypothese wird damit nicht bestätigt.
Pollen und Pilzsporen aus Sedimenten informieren über Vegetation und Tierbestände
Für ihre Studie nutzten die Forschungspartner Sedimentbohrkerne von Eifelmaaren, die Sirocko mit seinem Team in den letzten 20 Jahren systematisch erschlossen und archiviert hat. Für die aktuelle Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Scientific Reports wurden Ablagerungen von Pollen und Sporen aus dem Holzmaar-See und dem Trockenmaar von Auel in der Vulkaneifel untersucht. Pollen dokumentieren die Vegetation der Vergangenheit, Pilzsporen geben Hinweise auf die Anwesenheit von Großsäugern, weil bestimmte Schimmelpilze nur auf dem Dung von großen Pflanzenfressern wachsen.
Anhand der Pollenkörner stellten die Forschenden fest, dass die Eifel von vor 60.000 bis vor 48.000 Jahren von einem Fichtenwald bedeckt war, der dann in mehreren Kälteschüben zusammenbrach und sich zu einer offenen Waldsteppe entwickelte. Diese Waldsteppe hat die Landschaft von vor 43.000 bis vor 30.000 Jahren geprägt. Anschließend entwickelte sich die Eifel über eine Wald-Tundra zu einer mit Gras bewachsenen eiszeitlichen Polarsteppe.
Die Sporen von Großsäuger-Fäkalpilzen zeigen, dass in dieser Eifellandschaft von vor 48.000 bis vor etwa 11.000 Jahren durchgehend große Säugetiere lebten. Datierte Knochenfunde aus Höhlen in Belgien und aus Schottern des Rheintals dokumentieren, dass Mammut, Wollnashorn, Bison, Pferd, Rentier und Riesenhirsch die Kaltphasen bevorzugten. In den Warmphasen lebten Rothirsch, Elch und Wisent in lichten Wäldern.
Entwicklung des Waldes entzieht Großsäugern Nahrungsgrundlage
Die Hauptursache für den Rückgang und das letztendliche Verschwinden der Großsäuger in Mitteleuropa war die Entwicklung der Wälder. "Mit der zunehmenden Bewaldung verloren die großen Pflanzenfresser wahrscheinlich ihre Hauptnahrung, nämlich Gras", erklärt Prof. Dr. Frank Sirocko die Zusammenhänge. Weder die starken Klimaveränderungen der letzten 60.000 Jahre noch der Vulkanismus und die damit verbundenen Brände scheinen mit dem Aussterben der Großsäuger in Verbindung zu stehen. Die Anwesenheit dieser Tiere dürfte auch durch den modernen Menschen, der vor 43.000 Jahren in Mitteleuropa erscheint, nicht beeinflusst worden sein. Stattdessen fallen Zeiten hoher Vorkommen von Großsäugern mehrfach mit Zeiten hoher Präsenz des Menschen zusammen. "Am deutlichsten sehen wir dies vor etwa 15.000 Jahren. Damals ging der höchste Bestand an Großsäugern mit der archäologisch belegten Anwesenheit von Jägern im Rheintal zeitlich einher", so Sirocko. Der Fundplatz Gönnersdorf im nördlichen Rheinland-Pfalz wurde intensiv vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum – Leibniz-Forschungsinstitut für Archäologie (RGZM) in Mainz untersucht.
Bereits in diesen Jahrtausenden der Späteiszeit beobachten die Autorinnen und Autoren eine Ausbreitung der Graslandschaften. In diese Zeit fällt der Anstieg der Sonneneinstrahlung auf der Nordhemisphäre und das erste Ansteigen des globalen Meeresspiegels, der die trockenen Regionen des Ärmelkanals und der Nordsee geflutet hat – und dadurch vermutlich Herden von Großsäugern weiter nach Mitteleuropa gedrängt hat. "Die vielen spätglazialen Eifelmaarseen und verlandeten Sümpfe in den ausgetrockneten Maaren müssen ein echter Anziehungspunkt für die Großsäuger gewesen sein", ergänzt Sirocko. "Die späteiszeitlichen Jäger im Rheintal wurden wahrscheinlich dann von diesen Herden angezogen."
Overkill-Hypothese wird durch die Sedimente der Eifelmaare nicht bestätigt
Dass Jäger und Großsäuger über mehrere Jahrtausende hinweg nebeneinander lebten, belegt nach Einschätzung des Forschungsteams, dass diese Jäger die Tiere nicht ausgerottet haben. Belege für die in Nordamerika diskutierte Overkill-Hypothese zeigen die Eifelmaarsedimente nicht. Die Großsäuger verließen die Landschaft erst, als Birkenwälder vor 13.300 Jahren dichter wurden. Seit etwa 11.000 Jahren sind die Großsäugerherden gar nicht mehr vertreten, da seitdem dichte Wälder die Eifel bedeckten und große Tiere darin einfach keinen Lebensraum mehr finden konnten.