Fermium bei GSI/FAIR und an der JGU untersucht: Forschende messen Kerneigenschaften von Element 100 mit Laserlicht

Ausdehnung des Kernladungsradius steigt mit zunehmender Neutronenzahl gleichmäßig an

15.11.2024

GEMEINSAME PRESSEMITTEILUNG DES GSI HELMHOLTZZENTRUMS FÜR SCHWERIONENFORSCHUNG, DES HELMHOLTZ-INSTITUTS MAINZ UND DER JOHANNES GUTENBERG-UNIVERSITÄT MAINZ

Wo endet das Periodensystem der chemischen Elemente und welche Prozesse erlauben die Existenz der schwersten Elemente? Einem internationalen Forschungsteam ist es gelungen, sich der Beantwortung dieser  Frage zu nähern und mit Messungen an der GSI/FAIR-Beschleunigeranlage und in Laboren der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) einen Einblick in die Struktur von Fermium-Atomkernen mit unterschiedlicher Anzahl an Neutronen zu gewinnen. Mit modernen Laserspektroskopietechniken haben sie die Ausdehnung des Kernladungsradius bestimmt und ermittelt, dass dieser mit zunehmender Neutronenzahl gleichmäßig ansteigt. Dies weist darauf hin, dass Kernschaleneffekte bei diesen schweren Kernen nur einen geringen Einfluss auf die Kernladungsradien haben. Die Resultate wurden in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.

Mit Laserspektroskopie können Änderungen in der Atomstruktur analysiert werden

Elemente jenseits von Uran (92 Protonen) – wie beispielsweise Fermium (Element 100) – kommen nicht natürlich in der Erdkruste vor und müssen daher für Experimente künstlich erzeugt werden. Sie bilden die Brücke zwischen natürlich vorkommenden und sogenannten superschweren Elementen, die bei 104 Protonen beginnen. Quantenmechanische Schaleneffekte ermöglichen die Existenz der superschweren Elemente, obwohl sie nur etwa zwei Tausendstel der Kernbindungsenergie ausmachen, weil sie zu einer zusätzlichen Stabilisierung des Atomkerns führen. Dieser kleine Beitrag ist entscheidend, um den abstoßenden Kräften zwischen den vielen positiv geladenen Protonen entgegenzuwirken.

Das Schalenmodell erklärt quantenmechanische Effekte, deren Stärke von der Anzahl der Bausteine der Atomkerne, den Protonen und Neutronen, abhängt und zu einer Schalenstruktur im Atomkern führt. Ähnlich wie bei den Atomen, bei denen vollständig gefüllte Elektronenschalen zu chemischer Stabilität und Reaktionsträgheit führen, zeigen auch gefüllte Kernschalen – bei sogenannten "magischen" Protonen-/Neutronenzahlen – eine erhöhte Stabilität. Infolgedessen steigen ihre Kernbindungsenergien und die Lebensdauer. In leichteren Kernen ist bekannt, dass gefüllte Kernschalen auch die Kernradien beeinflussen.

Mit der Laserspektroskopie können kleinste Änderungen in der Atomstruktur analysiert und daraus Rückschlüsse auf Kerneigenschaften wie den Ladungsradius, also die Verteilung der Protonen im Atomkern, gezogen werden. Untersuchungen mehrerer Nuklide des gleichen Elements mit unterschiedlicher Neutronenzahl zeigen einen stetigen Anstieg dieses Radius, es sei denn, eine "magische" Zahl wird überschritten. Dann wird ein Knick beobachtet, da sich die Steigung des radialen Anstiegs beim Schalenschluss ändert. Dieser Effekt wurde für leichtere, kugelförmige Atomkerne bis hin zu Blei festgestellt.

Neuer Einblick in Kernstruktur schwerer Kerne

"Mithilfe der Laserspektroskopie haben wir Fermium-Atomkerne mit 100 Protonen, aber mit verschiedenen Neutronenzahl im Bereich von 145 und 157 untersucht. Besonderes Augenmerk lag dabei auf dem Einfluss quantenmechanischer Schaleneffekte auf die Größe der Atomkerne. So gelang es uns, die Struktur dieser Kerne rund um den bekannten Schaleneffekt bei einer Neutronenzahl von 152 aus einer neuen Perspektive zu betrachten", erläutert Dr. Sebastian Raeder, Leiter des Experiments bei GSI/FAIR. "Bei dieser Neutronenanzahl wurde zuvor die Signatur eines Neutronenschalenabschlusses in der Bindungsenergie beobachtet. Dessen Stärke wurde durch Hochpräzisionsmassenmessungen bei GSI/FAIR im Jahr 2012 vermessen. Da nach Einstein Masse äquivalent zu Energie ist, geben diese Messungen Hinweise über die zusätzliche Bindungsenergie, die der Schaleneffekt liefert. Die Atomkerne um die Neutronenzahl 152 sind ideale Testkandidaten für tiefergehende Studien, da sie nicht kugelförmig, sondern eher wie ein Rugby-Ball geformt sind. Diese Deformation erlaubt den vielen Protonen des Kerns, etwas weiter voneinander entfernt zu sein als in einer Kugel."

Dank des Einsatzes unterschiedlicher Verfahren für die Produktion sowie methodischer Weiterentwicklungen der Laserspektroskopie untersuchte die internationale Kollaboration bestehend aus 27 Partnerinstituten in sieben Ländern in den aktuellen Messungen Fermium-Isotope mit einer Lebensdauer von wenigen Sekunden bis zu hundert Tagen. Die kurzlebigen Isotope wurden an der Beschleunigeranlage von GSI/FAIR hergestellt, wobei teilweise nur ein Atom pro Minute für die Experimente zur Verfügung stand. Zur Messung wurde ein Laserspektroskopie-Verfahren genutzt, das Forschende vor einigen Jahren für Messungen an Nobelium-Isotopen entwickelt hatten. Die produzierten Kerne wurden in Argongas abgestoppt und nahmen dort Elektronen auf, um zu neutralen Atomen zu werden, die dann mithilfe von Lasern untersucht wurden.

Die neutronenreichen, langlebigen Fermium-Isotope Fermium-255 und Fermium-257 wurden in Pikogramm-Mengen am Oak Ridge National Laboratory in Oak Ridge, USA, und am Institut Laue-Langevin in Grenoble in Frankreich hergestellt. Um die geringen Fermium-Mengen aus den Proben zu extrahieren und für die Messungen vorzubereiten, war eine aufwendige radiochemische Separation notwendig. Diese wurde im TRIGA im Department Chemie der JGU unter Leitung von Prof. Dr. Christoph Düllmann durchgeführt. Von dort wurden die Proben dann ins Institut für Physik der JGU gebracht und am hiesigen RISIKO-Massenseparator der Arbeitsgruppe LARISSA unter Leitung von Prof. Dr. Klaus Wendt im Vakuum verdampft und mittels Laser-Resonanz-Ionisationsspektroskopie untersucht. Die enge Zusammenarbeit und die kurzen Wege der beteiligten JGU-Institute und des Helmholtz-Instituts Mainz (HIM) ermöglichten überhaupt erst die Untersuchung von Fermium-255, das eine Halbwertszeit von nur 20 Stunden aufweist.

Laserlicht passender Wellenlänge bringt ein Elektron in Fermium-Atomen von einem Orbital auf ein weiter außen liegendes Orbital und entfernt es schließlich ganz vom Atom, was effizient nachgewiesen werden kann. Die nötige Energie für diesen schrittweisen Ionenbildungsprozess ändert sich mit der Neutronenzahl. Diese kleine Änderung der Anregungsenergie wurde gemessen, um Informationen über die Größenänderungen der Atomkerne zu bekommen.

Makroskopische Eigenschaften dominieren

Die Untersuchungen erlaubten einen Einblick in die Änderungen des mittleren Kernladungsradius in Fermium-Isotopen über die Neutronenzahl 152 hinweg. Die Ergebnisse zeigen, dass die Kernladungsradien gleichmäßig ansteigen. Der Vergleich dieser experimentellen Daten mit verschiedenen theoretischen Berechnungen, die von internationalen Kollaborationspartnern mit modernen theoretischen Kernmodellen durchgeführt wurden, ermöglicht eine Interpretation der zugrunde liegenden physikalischen Effekte. Dabei wurde eine große Übereinstimmung aller Modelle, trotz unterschiedlicher Berechnungsmethoden, miteinander und auch mit den experimentellen Daten gefunden.

"Unsere experimentellen Ergebnisse und deren Interpretation mithilfe modernster theoretischer Verfahren weisen darauf hin, dass bei den Fermium-Atomkernen die Kernschaleneffekte keinen messbaren Einfluss auf die Kernladungsradien haben, im Gegensatz zum starken Einfluss, den sie auf die Bindungsenergien dieser Kerne haben", erklärt Jessica Warbinek, zum Zeitpunkt der Messung Doktorandin bei GSI/FAIR und JGU und Erstautorin der Publikation. "Die Ergebnisse bestätigen theoretische Vorhersagen, dass mit steigender Kernmasse nicht mehr Schaleneffekte dominieren, die nur von wenigen, einzelnen Kernbausteinen bestimmt werden, sondern Effekte, die auf die Gesamtheit aller Neutronen und Protonen zurückzuführen sind und Atomkerne eher als geladene Tröpfchen betrachten."

Die experimentellen Verbesserungen eröffnen den Weg zu weiteren laserspektroskopischen Studien von schweren Elementen in der Region rund um die Neutronenzahl 152 und in noch schwereren Elementen, die bisher für solche Messungen unzugänglich sind. Dies stellt einen wichtigen Schritt auf dem Weg zum besseren Verständnis von Stabilisationsprozessen in schweren und superschweren Elementen mit neuartigen Methoden dar. Weitere Entwicklungen werden es in Zukunft erlauben, selbst geringfügige Effekte der Schalenstruktur aufzuspüren, die der Grund für die Existenz der schwersten bekannten Elemente sind.