Ziel ist die Verbesserung des Englischunterrichts in der universitären Lehrerausbildung
01.07.2011
Die Verbreitung von Englisch als Fremd- und Zweitsprache nimmt immer mehr zu. Doch auch wenn die englische und die deutsche Sprache gemeinsame Wurzeln haben, fällt es selbst fortgeschrittenen deutschen Lernern oft schwer, Englisch fehlerfrei zu beherrschen. "Stolpersteine sind häufig Phänomene, die etwas mit Variation zu tun haben, wenn es also keine festen grammatischen Regeln, sondern mehrere Ausdrucksmöglichkeiten gibt", so Prof. Dr. Marcus Callies vom Department of English and Linguistics der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Er untersucht, mit welchen Schwierigkeiten langjährige Englischlerner zu kämpfen haben. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, die universitäre Ausbildung von zukünftigen Englischlehrerinnen und -lehrern zu verbessern, aber auch Wissenschaftler beim Erstellen englischer Texte zu unterstützen.
"Bisher gibt es relativ wenig Forschung über die speziellen Erwerbsprobleme fortgeschrittener Lerner und die verbleibenden Hürden beim Erreichen muttersprachenähnlicher Kompetenz im Englischen", erklärt Callies, Juniorprofessor am Department of English and Linguistics. "Wir wissen zum Beispiel nicht genau, wie sich Steuerungsfaktoren sprachlicher Variation in Lernersprachen auswirken und inwieweit diesbezüglich vorhandenes, aber unbewusstes Wissen aus der Muttersprache aufs Fremdsprachenlernen übertragen wird." Ein Beispiel ist die Anordung von Elementen im Satz hinsichtlich ihres Umfangs (oder "Schwere") und Informationsgehalts. Im Deutschen wie auch im Englischen gilt das Prinzip, dass schwere, komplexe Elemente, die meistens auch neue Information beinhalten, in der Regel am Ende des Satzes stehen. Trotz dieser Parallelen ist es aber so, dass selbst fortgeschrittene Lerner hier noch über recht große Defizite verfügen, möglicherweise weil ihnen das Bewusstsein über den Einfluss solcher Steuerungsfaktoren fehlt und ihr Vorwissen sich deshalb nicht positiv auswirken kann.
Callies will zunächst eine elektronische Textsammlung aufbauen, die dann als empirische Grundlage zur Erforschung lexiko-grammatischer Variationsphänomene dienen wird. Das Projekt "Corpus of Academic Learner English (CALE)" hat der Sprachwissenschaftler Anfang Juni 2011 auf einer Konferenz in Oslo vorgestellt. Für CALE werden seit September 2010 von Mainzer Englischstudierenden angefertigte englische Texte gesammelt und in sieben akademische Textsorten eingeteilt wie Hausarbeiten, kritische Zusammenfassungen von Fachaufsätzen, Rezensionen oder Inhaltsangaben. Die Texte werden elektronisch erfasst, aufbereitet (zum Beispiel mit Metadaten annotiert) und in eine Korpusstruktur eingebunden. Das Korpus wird sukzessive erweitert und soll schließlich 1 bis 2 Millionen Wörter umfassen. Eine solche Sammlung gibt es für die Erforschung wissenschaftlichen Schreibens in der Fremdsprache Englisch bislang noch nicht, so dass es sich hier um Grundlagenforschung handelt. Durch die theoretische und methodologische Verknüpfung von Zweitsprachenerwerbsforschung und Lernerkorpuslinguistik können dann auf der Basis von CALE typische Problembereiche und Charakteristika sowie der Einfluss verschiedener Faktoren auf sprachliche Variation bei fortgeschrittenen Lernern sowohl quantitativ als auch qualitativ erforscht werden.
Der Anwendungsbezug des Projekts ergibt sich in einem zweiten Schritt, wenn aus den empirischen Befunden Empfehlungen fürs Fremdsprachenlernen folgen. Die Ergebnisse des Projekts, die im Rahmen von Empfehlungen für Lehrmaterialien beziehungsweise Vorschlägen für einzelne Unterrichtseinheiten in sprachpraktischen Übungen (zum Beispiel "Academic Writing") nutzbar gemacht werden sollen, sind für den fortgeschrittenen Fremdsprachenunterricht sowie die universitäre Ausbildung von Fremdsprachenlehrern von besonderer Relevanz, denn die Mehrzahl der Englischstudierenden wird später als Englischlehrer tätig sein und ihre Kenntnisse weitergeben. Aber auch für alle anderen Studierenden und Wissenschaftler sollen Hilfestellungen entwickelt werden: "Im Gegensatz zum anglo-amerikanischen Bildungssystem gehören an deutschen Gymnasien und Universitäten in der Regel wissenschaftliche Schreibkurse in der Muttersprache nicht zum Curriculum, so dass Studienanfänger im Grunde keine Ausbildung in wissenschaftlichem Schreiben haben", merkt Callies an. Zwar wird in der Scientific Community vorausgesetzt, dass wissenschaftliche Ergebnisse in Englisch veröffentlicht werden, das Handwerkszeug dazu müssen sich die Forscher aber selbst – sozusagen "learning by doing" – aneignen. Kurse in wissenschaftlichem Schreiben gibt es hierzulande nur sporadisch. "Wir wollen daher klare curriculare Verbesserungsvorschläge machen und Angebote zum akademischen Schreiben entwickeln", kündigt der Mainzer Sprachforscher an.
Langfristig soll das Projekt zudem auf eine internationale Ebene gestellt werden, zunächst innerhalb von Europa, später eventuell auch mit außereuropäischen Partnern. Im Moment bestehen bereits Kooperationen mit Universitäten in Portugal, Spanien und China. Die Sprachwissenschaftler könnten dann vergleichen, ob zum Beispiel deutsche, spanische und chinesische Muttersprachler im fortgeschrittenen Fremdsprachenerwerb ähnliche Schwierigkeiten haben. Mit Maria Belen Diez-Bedmar war im Juni 2011 eine ausgewiesene Expertin auf dem Gebiet der Korpuslinguistik von der Universität Jaen in Spanien zu Gast bei Callies' Arbeitsgruppe, um Erfahrungen auszutauschen und Kooperationen zu vereinbaren.
Interessenten, die englische Text von Studierenden zu dem Korpus beisteuern möchten, sind aus allen Fachgebieten, seien es die Geistes- und Sozialwissenschaften, Naturwissenschaften oder Wirtschaftswissenschaften, willkommen. "Wir möchten gern andere Disziplinen einbinden und nehmen außerdem auch englische Texte auf, die nicht an der Universität erstellt wurden", erklärt Callies. Die Teilnehmer sollten fortgeschrittene Kenntnisse in Englisch besitzen, also über neun Jahre Schulenglisch verfügen und möglichst darüber hinaus Englisch gelernt haben.