Studie stellt Veränderungen beim Verhalten und bei der Aktivität von Genen zur Immun- und Stressregulation als Folge sozialer Isolation fest
01.04.2021
Ameisen reagieren auf soziale Isolation ähnlich wie Menschen oder andere soziale Säugetiere. Eine Studie eines israelisch-deutschen Forschungsteams ergab, dass Ameisen als Folge von sozialer Isolation ein verändertes Sozial- und Hygieneverhalten zeigen. Besonders überraschend fand das Team aber, dass im Gehirn der isolierten Ameisen Immun- und Stressgene runterreguliert wurden. "Das heißt, das Immunsystem ist weniger leistungsfähig, was wir auch als Folge von sozialer Isolation beim Menschen sehen – gerade jetzt in Zeiten von COVID-19", teilt die Studienleiterin Prof. Dr. Susanne Foitzik von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) dazu mit. Die Studie an einheimischen Ameisen wurde in der Fachzeitschrift Molecular Ecology veröffentlicht.
Über Folgen von Isolation bei sozialen Insekten ist bisher wenig bekannt
Menschen und andere soziale Säugetiere erleben die Isolation von ihrer Gruppe als stressig, was sich auf das Allgemeinbefinden und die körperliche Verfassung auswirkt. "Isolierte Menschen werden einsam, depressiv und ängstlich, entwickeln leichter Süchte und leiden unter einem geschwächten Immunsystem und einer beeinträchtigten Gesundheit im Allgemeinen", sagt Prof. Dr. Inon Scharf, Erstautor der Studie und Kooperationspartner der Mainzer Forschungsgruppe von der Universität Tel Aviv. Während jedoch Isolation bei sozialen Säugetieren wie dem Menschen oder Mäusen eingehend untersucht wurde, ist weniger darüber bekannt, wie soziale Insekten in vergleichbaren Situationen reagieren – dabei leben sie in hoch entwickelten Sozialsystemen: Ameisen etwa verbringen ihr ganzes Leben als Teil ein und derselben Kolonie und sind von ihren Nestgenossinnen abhängig. Die Arbeiterinnen geben ihr eigenes Fortpflanzungspotenzial auf und kümmern sich um die Fütterung der Larven, die Reinigung und die Verteidigung des Nests und die Suche nach Nahrung, während die Königin fast ausschließlich Eier legt.
Für seine Studie über die Folgen von sozialer Isolation hat das Forschungsteam Ameisen der Art Temnothorax nylanderi untersucht. Diese Ameisen bewohnen in europäischen Wäldern Hohlräume in Eicheln und Stöcken am Boden und bilden Kolonien von ein paar Dutzend Arbeiterinnen. Junge Arbeiterinnen, die sich um die Brutpflege kümmern, wurden einzeln aus 14 Kolonien isoliert und für eine unterschiedlich lange Dauer von einer Stunde bis zu höchstens 28 Tagen getrennt gehalten. Die Studie wurde zwischen Januar und März 2019 durchgeführt und zeigt insbesondere Veränderungen in drei Punkten auf: Nach dem Ende der Isolation waren die Arbeiterinnen weniger an ihren erwachsenen Nestgenossinnen interessiert, erhöhten jedoch die Dauer des Brutkontakts; zudem reduzierten sie die Zeit, die sie mit Selbstpflege verbrachten. "Diese Veränderung im Hygieneverhalten könnte die Ameisen anfälliger für Parasiten machen, aber sie weist auch auf eine soziale Vereinsamung hin", erklärt Prof. Dr. Susanne Foitzik.
Stress infolge von Isolation wirkt sich negativ auf das Immunsystem aus
Zwar zeigten sich signifikante Veränderungen in den Verhaltensweisen der isolierten Tiere, aber noch auffälliger war ein Blick auf die Genaktivität: Viele Gene, die mit der Funktion des Immunsystems und der Stressreaktion zusammenhängen, waren herunterreguliert worden. Das heißt, diese Gene sind weniger aktiv. "Das Ergebnis passt zu Studien an anderen sozialen Tieren, die eine Schwächung des Immunsystems nach der Isolation zeigen", so Prof. Dr. Inon Scharf.
Die Biologinnen und Biologen um Prof. Dr. Susanne Foitzik legen damit die erste Studie zu den Auswirkungen von Vereinzelung bei sozialen Insekten vor, die Verhalten und genetische Analysen kombiniert. "Sie zeigt, dass Ameisen ebenso von Isolation betroffen sind wie soziale Säugetiere und deutet auf einen allgemeinen Zusammenhang zwischen sozialem Wohlbefinden, Stresstoleranz und Immunkompetenz bei sozialen Tieren hin", fasst Foitzik die Ergebnisse der israelisch-deutschen Studie zusammen. Die Wissenschaftlerin kooperiert mit ihrem israelischen Partner Prof. Dr. Inon Scharf sowie mit Koautor und Arbeitsgruppenleiter Dr. Romain Libbrecht von der JGU auch im Rahmen eines neuen gemeinsamen, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts zu den Fitnessvorteilen und molekularen Grundlagen des räumlichen Lernens bei Ameisen.