Aus Haft Tappeh ins World Wide Web

Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Hochschule Mainz digitalisieren 3.500 Jahre alte Keilschrifttexte

30.09.2019

Sie stammen aus der Mitte des zweiten Jahrtausends v. Chr. und können nur von wenigen Experten weltweit entziffert werden: Keilschrifttexte auf Tontafeln, die von dem Archäologen Dr. Behzad Mofidi-Nasrabadi von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) in Haft Tappeh ausgegraben wurden. Der Ort liegt im Südwesten des Iran und war ehemals die Stadt Kabnak, die zum Reich Elam gehörte. Bis heute wurden dort insgesamt rund 1.400 Keilschrifttexte und -fragmente in babylonischer Sprache freigelegt. In einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt werden sie nun digital bearbeitet und über das Internet weltweit veröffentlicht. Das Projekt ist im September 2019 gestartet, hat eine Laufzeit von drei Jahren und wird mit 500.000 Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert. Dabei kooperiert ein Team um Prof. Dr. Doris Prechel, Professorin für Altorientalische Philologie am Institut für Altertumswissenschaften der JGU, eng mit einem Team um Prof. Dr. Kai-Christian Bruhn, Professor am Institut für Raumbezogene Informations- und Messtechnik (i3mainz) der Hochschule Mainz und Direktor des Mainzer Zentrums für Digitalität in den Geistes- und Kulturwissenschaften (mainzed). "Bei der Keilschrift handelt es sich um ein hochkomplexes Schriftsystem, das in all seinen Varianten insgesamt mehr als 10.000 Zeichen aufweist", erklärt Prof. Dr. Doris Prechel. "Eine Automatisierung des Lesens dieser Schrift steht noch aus."

In dem Projekt geht es zunächst darum, rund 500 Originaltexte zu transkribieren, mit wissenschaftlichen Anmerkungen zu versehen und so aufzubereiten, dass sie der Wissenschaftsgemeinde übers Internet zur Verfügung gestellt werden können. Dafür benutzen die Mainzer Forscherinnen und Forscher digitale Aufnahmen der Tontafeln, die in einem vorherigen Projekt mithilfe von 3-D-Scannern erstellt worden waren. "Mit dem aktuellen Projekt wollen wir auch bereits laufende Vorhaben zur Auswertung solcher 3-D-Modelle mit qualitativ hochwertigen Daten versorgen", erläutert Prof. Dr. Kai-Christian Bruhn. "Und wir wollen gewährleisten, dass die von uns erzeugten Daten problemlos in bestehende oder im Aufbau befindliche Keilschriftportale eingebunden werden können, zum Beispiel in die Cuneiform Digital Library Initiative der University of California in Los Angeles." Schließlich soll auch die digitale linguistische Erschließung der Keilschrift angegangen werden: "Gegen Ende des Projekts wollen wir Daten erzeugt haben, die eine Reihe sprach- und schriftwissenschaftlicher Fragestellungen beantworten können. Dabei geht es etwa auch darum zu erkennen, wie viel für eine automatische Übersetzung von Keilschrifttexten noch zu tun ist", sagt Bruhn. Er und Prechel arbeiten seit einigen Jahren in verschiedenen Verbundinitiativen zusammen, die von der Hochschule Mainz und der JGU mitgetragen werden. Neben dem Engagement im Verbund Archäologie Rhein-Main (VARM) und Digital Humanities im RMU-Verbund (DH-RMU) sind sie über mainzed verbunden und lehren unter anderem im hochschulübergreifenden Masterstudiengang "Digitale Methodik in den Geistes- und Kulturwissenschaften".

Vorläuferprojekt mit dem Helmholtz-Institut Mainz

In dem Vorläuferprojekt, in dem mithilfe von 3-D-Scannern digitale Aufnahmen der Keilschrifttexte erstellt worden waren, hatte Prof. Dr. Doris Prechel mit dem Kernphysiker Prof. Dr. Frank Maas, Gründungsdirektor des Helmholtz-Instituts Mainz (HIM), zusammengearbeitet. Auf die Idee zu dieser Kooperation waren die beiden durch ihre gemeinsame Tätigkeit im Leitungsgremium des Gutenberg Forschungskollegs (GFK), der zentralen Einrichtung zur Förderung der Spitzenforschung an der JGU, gekommen. "Das hat sich durch Gespräche auf gemeinsamen Veranstaltungen ergeben", berichtet Prechel. "Wenn man sechs Jahre lang in einem Gremium zusammenarbeitet, lernt man auch Kollegen aus weit entfernten Disziplinen kennen." Prechel und Maas planen, in Folgeprojekten nicht nur die Texte aus Haft Tappeh, sondern ganze archäologische Objektsammlungen und dabei beispielsweise auch Reste von Gefäßen zu digitalisieren. Außerdem sind Kooperationsprojekte der Altorientalischen Philologie der JGU mit dem HIM und dem i3mainz zur gezielten Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses angedacht.