Keilschriftliche Manuskripte aus Tontafelsammlungen der Hethiter von vor rund 3.500 Jahren werden in einem neuen DFG-Projekt vollumfänglich online zugänglich gemacht
23.09.2020
Vor etwa 3.500 Jahren lebten in Anatolien die Hethiter. Auf Tontafeln haben sie Staatsverträge und Erlässe, Gebete, Mythen und Beschwörungsrituale festgehalten – in einer Sprache, die erst vor rund 100 Jahren entschlüsselt werden konnte. Nun werden die in Keilschrift erstellten Texte der Hethiter vollumfänglich digital zugänglich gemacht. Die Basis dafür bilden etwa 30.000 Manuskripte, die überwiegend in hethitischer Sprache verfasst sind, in geringerem Umfang aber auch in anderen Sprachen wie Luwisch oder Palaisch. An dem Kooperationsprojekt sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten in Mainz, Marburg und Würzburg sowie der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz beteiligt. Das Vorhaben "Thesaurus Linguarum Hethaeorum digitalis" (TLHdig) wird von der Deutschen Forscungsgemeinschaft (DFG) in den kommenden drei Jahren mit rund 520.000 Euro gefördert.
Mainz als weltweites Zentrum der Hethitologie wird weiter aufgewertet
"Dies ist auch als eine Anerkennung für den Wissenschaftsstandort Mainz zu sehen, wo die Hethitologie seit den 1960er-Jahren verankert ist", sagt Prof. Dr. Doris Prechel vom Institut für Altertumswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und Kooperationspartnerin in dem Projekt. In Mainz befindet sich am Hethitologie-Archiv der Akademie der Wissenschaften und der Literatur der weltgrößte Bestand an hethitischen Schriften in Umschrift, also von der ursprünglichen Keilschrift in lateinische Buchstaben übertragenen Texten. "Wir haben hier einen fabelhaften Ausgangspunkt und werden mit dem digitalen Thesaurus einen Meilenstein für die Hethitologie weltweit schaffen." Doris Prechel und ihre Arbeitsgruppe steuern dazu eine Textsammlung mit Beschwörungsritualen bei. Diese Rituale bestanden meist aus magischen Techniken, um das Wohlwollen der Götter zu gewinnen und beispielsweise Gefahr für das Königshaus oder das Staatswesen abzuwehren.
Mit dem neuen Projekt wollen die Kooperationspartner nun den Schritt ins 21. Jahrhundert vollziehen: Ein großer Teil der 30.000 Tontafeln und Fragmente, die in der damaligen hethitischen Hauptstadt Hattusa gefunden und auf über einer Million Karteikarten dokumentiert wurden, liegt bereits in digitalisierter Form vor. Sie sollen nun mit Erklärungen versehen und angeglichen werden. Die Textsammlung wird über das "Hethitologie-Portal Mainz" zu erreichen sein. Neue Keilschrifttexte, die aus hethitischen Fundorten künftig dazukommen, können ebenfalls integriert werden. Damit wird ein "lebendes Archiv" keilschriftlicher Manuskripte in Umschrift geschaffen und der Forschung über die Kultur und Geschichte der Hethiter ein völlig neuer Zugang zu den Textquellen eröffnet.
Hethitisch als älteste indogermanische Sprache besonders interessant
"Viele Kulturen haben ihr Schriftgut verloren, zum Beispiel wenn es auf Papyrus nicht überdauert hat", erklärt Doris Prechel. Die Tontafeln dagegen wurden durch den Brennvorgang haltbar gemacht und liefern uns jetzt Informationen aus allen Lebensbereichen der Menschen im zweiten Jahrtausend vor Christus. Die hethitische Kultur ist auch sprachgeschichtlich interessant, weil Hethitisch die älteste bekannte indogermanische Sprache ist. Heute sind indogermanische Sprachen über die ganze Welt verteilt und stellen die Sprachfamilie mit den meisten Sprechern überhaupt.