Anlage am TRIGA Mainz kann nach Upgrade Dichte um das Dreieinhalbfache steigern und erreicht Wert von 8,5 ultrakalten Neutronen pro Kubikzentimeter
28.11.2017
Vor rund zehn Jahren hat die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ein neues Forschungsfeld betreten: die Erzeugung von ultrakalten Neutronen für die physikalische Grundlagenforschung. Nach dem jüngsten Upgrade der Anlage können die beteiligten Physiker und Chemiker nun einen bedeutenden Durchbruch vermelden. Durch ihre Maßnahmen steigerten sie die Ausbeute an ultrakalten Neutronen (UCN) im Vergleich zu einer früheren Messung um das Dreieinhalbfache. Sie haben damit auch die Voraussetzungen geschaffen, um demnächst empfindlichere Messungen zur Ermittlung der Lebensdauer des freien Neutrons zu starten.
Neutronen liegen normalerweise nicht in freier Form vor, sondern sind als neutrale Teilchen im Atomkern gebunden. Freie Neutronen sind instabil und zerfallen mit einer Lebensdauer von etwa 15 Minuten. Am Forschungsreaktor TRIGA Mainz können freie Neutronen erzeugt und durch Wechselwirkung mit festem Deuterium bei etwa minus 270 Grad Celsius so verlangsamt werden, dass sie nur noch eine Geschwindigkeit von etwa 5 Meter pro Sekunde aufweisen. In diesem abgebremsten Zustand lassen sich freie Neutronen speichern und stehen für Experimente zur Verfügung. Die Grundlagenforschung interessiert sich besonders dafür, durch Hochpräzisionsmessungen die Eigenschaften des freien Neutrons genau zu bestimmen, vor allem die Lebensdauer und das elektrische Dipolmoment. Neuerdings kommen Untersuchungen zur elektrischen Ladung des Neutrons und Messungen zum Neutronzerfall hinzu. "Für all diese Experimente und Messungen ist die vorhandene Dichte an ultrakalten Neutronen der limitierende Faktor", erklärt Prof. Dr. Werner Heil, einer der verantwortlichen Wissenschaftler der UCN-Einrichtung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Neue Quellen zur Produktion von UCN, die Abkürzung leitet sich vom englischen "Ultracold Neutron" ab, werden derzeit weltweit entwickelt. Am TRIGA Mainz besteht die Möglichkeit, Neutronen im Pulsbetrieb zu erzeugen, das heißt der Reaktor kann alle fünf Minuten gepulst werden und liefert dabei einen hohen Neutronenfluss. Diese Neutronen werden nach dem Abbremsen an einem Block aus festem Deuterium durch einen Neutronenleiter, ähnlich einem Lichtleiter in der Optik, zum Experiment außerhalb des Reaktors geleitet.
Die Anlage wurde nun durch das jüngste Upgrade noch verbessert. Die Installation eines Heliumverflüssigers direkt vor Ort ermöglicht eine bessere Kühlung des Deuteriumkristalls und schafft die Voraussetzung, um Langzeitexperimente durchführen zu können. Der Transport der Neutronen vom Reaktor zum Experimentierplatz erfolgt durch elektropolierte Edelstahlrohre mit extrem glatter Oberfläche, um Neutronenverluste zu vermeiden. Diesem Zweck dient auch eine neue Beschichtung der Rohrinnenwände mit einer Nickel-58-Molybdänlegierung.
Mainzer UCN-Quelle auf internationalem Niveau konkurrenzfähig
Mit diesem Maßnahmenbündel ist es gelungen, 8,5 ultrakalte Neutronen pro Kubikzentimeter zu speichern. "Gegenüber der letzten Messung vor einem halben Jahr haben wir die Ausbeute um das Dreieinhalbfache gesteigert", erklärt Prof. Dr. Norbert Trautmann vom Institut für Kernchemie. Als Speichergefäß diente jeweils ein standardisierter Zylinder aus Edelstahl, den das Paul Scherrer Institut (PSI) in der Schweiz speziell für normierte Messungen bereitstellt. Das Gefäß hat ein Volumen von 32 Liter, entspricht damit in etwa den typischen Speichergefäßen für Experimente und kommt weltweit zum Einsatz. Es gilt derzeit als die verlässlichste Methode für derartige Messungen. 8,5 UCN pro Kubikmeter bringt Mainz in die Spitzenliga. "Wir sind jetzt mit den besten Instituten voll konkurrenzfähig", sagt Heil.
"Die höhere UCN-Dichte ist besonders für die Lebensdauerexperimente wichtig, die Ende des Jahres starten sollen", erläutert Prof. Dr. Tobias Reich, Leiter des Instituts für Kernchemie, das den TRIGA-Reaktor beherbergt. Diese Experimente erfolgen im Rahmen des Exzellenzclusters "Precision Physics, Fundamental Interactions and Structure of Matter" (PRISMA), der den Ausbau von Infrastruktur und Personal an der Mainzer UCN-Quelle unterstützt hat. Die Wissenschaftler versprechen sich von der verbesserten Leistung in Zukunft eine neue Qualität der Experimente in wesentlich kürzerer Zeit. Die genaue Bestimmung der Lebensdauer des freien Neutrons ist von größtem Interesse, weil die beiden üblicherweise benutzten Methoden – die Speicherung von ultrakalten Neutronen in materiellen Gefäßen und die sogenannte Neutron-Strahlmethode mit dem Nachweis der Zerfallsprodukte (Protonen) im Flug – unterschiedliche Ergebnisse liefern, was entweder an unerkannten systematischen Fehlern liegt oder auf eine "neue Physik" hinweist.
Die UCN-Messungen erfolgten am Strahlrohr D des TRIGA Mainz. Diese Quelle wird hauptsächlich im Impulsbetrieb gefahren und steht auch externen Nutzern zur Verfügung. "Für künftige Experimente, beispielsweise für Lebensdauermessungen, können wir die Quelle drei Wochen durchgehend im Zweischichtbetrieb von 8 bis 24 Uhr nutzen", ergänzt Dr. Christopher Geppert, Betriebsleiter des Reaktors.