Computersimulationen aus den Geowissenschaften klären Rätsel um Wirbelstrukturen in Multischichtmetallen auf

Grundlagenforschung für die Praxis: Modelle der Geophysik auch für Materialwissenschaften nützlich

27.11.2017

Grundlagenforschung kann manchmal ungewöhnliche Wege nehmen, um schließlich unerwartet zur Anwendung zu kommen. So ist es Forschern vom Institut für Geowissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) gelungen, geodynamische Computermodelle auf praktische Fragen der Materialwissenschaften anzuwenden und damit ein Problem der Metalldeformation zu lösen – ein komplett anderes Fachgebiet. Die Gruppe um Prof. Dr. Boris Kaus zeigt in ihrer Arbeit, dass dieselbe Instabilität, die kilometerdicke Felslagen über lange Zeiträume zur Faltung bringt, auch auf Mikrometerebene, in diesem Fall bei Metallen, wirksam ist. Die Forschungsarbeit, die in Kooperation mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) erfolgte, wurde von Nature Communications publiziert.

Ausgangspunkt war eine Arbeit der Karlsruher Kollegen um Prof. Dr. Horst Hahn, die zum ersten Mal überhaupt mechanisches Mixen von Metallen in dreidimensionaler Form zeigen konnten. Mechanisches Mixen erfolgt, wenn zum Beispiel zwei Metalle aufeinanderdrücken und deformiert werden. In der 3-D-Darstelllung zeigte sich, dass dieses Mixen komplizierter aussieht, als der Verlauf im Experiment hätte erwarten lassen. Insbesondere treten rotierende Strukturen auf, die Ähnlichkeiten mit Wolken oder Flüssigkeiten aufweisen und daher zunächst als Kelvin-Helmholtz-Instabilität gedeutet wurden.

Wirbelstrukturen in Metallen ähneln Gesteinsdeformationen

Tatsächlich aber findet sich eine weit größere Übereinstimmung der rotierenden Strukturen in den Metallen mit geophysikalischen Strukturen, die ein Wissenschaftler in einem Mikrotektonik-Buch des Mainzer Geowissenschaftlers Prof. Dr. Cees Passchier entdeckt hat. "Kelvin-Helmholtz-Instabilitäten konnten nicht die Lösung für das Problem sein, weil sich Luft und Wasser viel schneller bewegen als Metalle und deswegen die grundlegende Physik anders ist", erklärt Kaus zu den Zusammenhängen. Die Mainzer Forscher wiesen nach, dass die in Karlsruhe gefundenen Strukturen Ähnlichkeiten mit Gesteinsdeformationen im Gebirge zeigen und die grundlegende Physik praktisch identisch ist.

Erstautor Dr. Mohsen Pouryazdan vom KIT und seine Kooperationspartner stellen in Nature Communications eine Strategie vor, die zeigt, wie die morphologische Entwicklung bei sich verformenden Feststoffen, bestehend aus mehreren Phasen, auf Mikrometerskala verläuft. Dazu werden mit hohem Druck Torsionskräfte auf die Multischichtmetalle aus Silber und Kupfer sowie Aluminium und Kupfer ausgeübt. Anschließend werden die Materialien mit Hilfe von Röntgen-Synchrotron-Tomographie in 3-D dargestellt. Hier sind in den sich verformenden Feststoffen verschiedene morphologischer Ereignisse zu sehen, darunter Faltformationen und Wirbel. Im nächsten Schritt schlagen die Wissenschaftler ein numerisches Modell vor. Die experimentellen Funde dienen praktisch als Referenz, um das Computermodell zu evaluieren.

Die Computersimulation zeigt, dass die anscheinend komplexen experimentellen Beobachtungen relativ einfach reproduziert werden können, indem nur wenige Materialparameter wie Viskosität und Stressexposition als Input verwendet werden. Demnach lässt sich die Scher-Instabilität in dem Metall-Experiment mit geologischen Systemen vergleichen, die sich auf großen Längenskalen und über Millionen von Jahren hinweg verändern.

Auch wenn das Experiment jetzt mit Multischichtmetallen unter Scherbelastung erfolgt ist, so ist das Modell nicht nur auf solche Fälle begrenzt, sondern kann auf irgendein Materialsystem angewendet werden, unabhängig von seiner Morphologie. Damit ist das Modell ein vielseitiges Werkzeug, um eine große Palette von Materialien und materialverarbeitenden Techniken zu untersuchen. "Wir konnten zum ersten Mal zeigen, dass Modellierungstechniken aus der Grundlagenforschung in den Geowissenschaften ganz praktische Anwendungen für die Materialwissenschaften haben", bemerkt Boris Kaus. "Dabei war unsere Software entwickelt worden, um Gebirgsbildungsprozesse zu simulieren – ein schönes Beispiel dafür, dass Grundlagenforschung immer unerwartete Anwendungen haben kann."