Spurensuche im Innern der Erde

Mit einem Netzwerk von Gravimetern wollen Mainzer Wissenschaftler schwach wechselwirkender Materie im Erdinnern nachspüren

15.07.2020

Einen neuen Ansatz zur Suche nach Dunkler Materie hat ein interdisziplinäres Forschungsteam um Prof. Dr. Dmitry Budker und Nataniel Figueroa vom Exzellenzcluster PRISMA+ der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und dem Helmholtz-Institut Mainz (HIM) verfolgt. Sie werteten Daten aus dem globalen Netzwerk von Gravimetern des International Geodynamics and Earth Tide Service (IGETS) aus, um nach bisher unbekannten Signalen zu suchen, die möglicherweise einer neuen Materieform zuzuschreiben sind. Bisher sind sie nicht fündig geworden, haben aber bereits Pläne, ihren Ansatz in einem nächsten Schritt zu verfeinern und sich mit anderen Gruppen, die eine ähnliche Idee verfolgen, zusammenzutun.

"Trotz vielfältigster Versuche ist es bis heute nicht gelungen, Dunkle Materie nachzuweisen, obwohl wir wissen, dass sie einen Großteil der Materie im Universum ausmacht", sagt Prof. Dr. Dmitry Budker. "Deshalb dürfen wir nichts unversucht lassen und müssen auch ungewöhnliche Perspektiven einnehmen und Ideen verfolgen." Konkret stellen sich die Forscher in ihrer aktuellen Arbeit im European Physical Journal folgendes Szenario vor: Sie betrachten hypothetische verborgene Objekte, die im Innern der Erde gefangen sind und in der Nähe des Erdmittelpunkts mit einer bestimmten Frequenz hin und her schwingen.

Zur Verdeutlichung bemüht Budker das Bild eines Gegenstands, der auf die Erde fällt: Gäbe es in der Erde einen Tunnel bis zum Erdmittelpunkt und wieder zurück zur Erdoberfläche, so würde der Gegenstand in Richtung Erdmittelpunkt fallen, dabei durch die Gravitation immer weiter beschleunigt und sich auf der anderen Seite wieder Richtung Erdoberfläche bewegen, wobei er wieder langsamer würde. Er würde demnach eine Pendelbewegung mit einer bestimmten Frequenz ausüben. "Ein solches Szenario ist bei Massen, die aus gewöhnlicher Materie bestehen, wegen der nicht-gravitativen Wechselwirkungen ohne einen Tunnel unmöglich. Aber sehr schwach wechselwirkende Objekte, wie wir sie hier postulieren, könnten diese Schwingungen auch ohne einen Tunnel im Innern der Erde ausführen", so Budker. "Ähnlich wie Röntgenstrahlen oder das Licht einer Taschenlampe mitunter Materie fast ungehindert durchdringen können."

Die oben beschriebene Situation eines im Erdinnern pendelnden Objekts könnte also hypothetisch realisiert werden, wenn eine kleine Masse aus einer Art "verborgener Materie" – in der aktuellen Arbeit nennen die Forscher diese ein verborgenes inneres Objekt (HIO) – besteht, die, wenn überhaupt, nur schwach außerhalb der Gravitation mit normaler Materie wechselwirkt. Auch die lange gesuchte Dunkle Materie wechselwirkt mit gewöhnlicher Materie in erster Linie über die Schwerkraft. Wenn ein Teil dieser Dunklen Materie in der Erde durch Schwerkraft gebunden ist, könnte auch sie ein solches HIO bilden.

Zusammengenommen deutet dies auf ein verlockendes Szenario hin. "Vielleicht kann man das Vorhandensein eines solchen HIO durch empfindliche Messungen der Gravitationsbeschleunigung an der Oberfläche der Erde nachweisen", erläutert Nataniel Figueroa, Mitautor der Studie und Stipendiat der Mainz Physics Academy (MPA), die innerhalb des Exzellenzclusters PRISMA+ das gemeinsame Dach für sämtliche Aktivitäten der Graduiertenausbildung und Nachwuchsförderung bildet. "Dazu müssen wir kein eigenes Experiment aufbauen, denn diese Daten gibt es bereits, und sie sind öffentlich zugänglich. Sie stammen aus einem globalen Netzwerk von Gravimetern der Internationalen Geodynamics and Earth Tide Service (IGETS)." Verteilt rund um die Erde messen Supraleitende Gravimeter (SGs) kontinuierlich zeitliche Gravitationsschwankungen mit hoher Präzision und Langzeitstabilität.

In ihrer aktuellen Arbeit nutzten die Forscher die Fourier-Analyse, um in den IGETS-Daten nach charakteristischen Spektrallinien zu suchen, die ein Hinweis für die Existenz von HIOs – und damit unter Umständen gar von Dunkler Materie – sein könnten. In diesem Fall würde jedes Gravimeter im Netzwerk ein schwaches periodisches Signal bei einer charakteristischen Frequenz sehen, die von der Geometrie der Umlaufbahn des HIOs und dem Standort des Gravimeters abhängt. Zwar finden die Forscher in ihrer ersten Analyse keine Hinweise auf HIOs – und damit auch nicht auf Dunkle Materie. Sie halten es jedoch für möglich, die Sensitivität der Suche um mehrere Größenordnungen zu verbessern – zum Beispiel durch ein besseres Verständnis der übrigen terrestrischen Signalquellen und eine fortgeschrittenere Datenanalyse. Darüber hinaus verfolgen aktuell zwei weitere Forschungsgruppen einen ähnlichen Ansatz, um im Innern der Erde nach Dunkler Materie zu suchen. "Wir haben mit unseren Kollegen Kontakt aufgenommen, um über eine künftige Zusammenarbeit zu sprechen", so Dmitry Budker abschließend. "Denn von einer Bündelung unserer Ressourcen und Ideen dürfte das Projekt mit Sicherheit profitieren."

Dem interdisziplinären Forschungsteam gehören an: Wenxiang Hu von der Universität Peking arbeitete als Gaststudent in Mainz an Theorie und Modellierung von HIO-Umlaufbahnen und erwarteten Gravimetersignalen. Matthew Lawson, ein Post-Doc der Universität Stockholm, führte die Datenanalyse zusammen mit Nataniel L. Figueroa durch. Derek F. Jackson Kimball ist Professor an der California State University East Bay und wissenschaftlicher Koordinator der CASPER- und GNOME-Experimente – die Dunkle Materie mithilfe der Kernspinresonanz bzw. einem weltweiten Netz aus optischen Magnetometern nachweisen und analysieren wollen. Ebenso wie Dmitry Budker war er an verschiedenen Aspekten des Projekts beteiligt. Prof. Allen P. Mills Jr. von der UC Riverside schlug die Idee vor und beteiligte sich an verschiedenen Aspekten des Projekts. Dr. Christian Voigt vom GFZ Potsdam brachte seine geophysikalische Expertise ein.