XENON100-Experiment soll WIMP-Teilchen einfangen und untersuchen
19.01.2011
Das Spektrum der physikalischen Forschung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ist um ein bedeutendes Arbeitsfeld reicher: die direkte Suche nach Dunkler Materie. Mit der Berufung von Prof. Dr. Uwe Oberlack im Sommer 2010 hat das Institut für Physik einen weltweit anerkannten Experten auf diesem Gebiet gewonnen. Er kann in Mainz an die Forschungsarbeiten zur indirekten Suche nach Dunkler Materie anknüpfen. Damit ist die JGU in die internationale Spitzengruppe zur Erforschung der Dunklen Materie aufgerückt. Die Dunkle Materie ist maßgeblich für die klumpige Verteilung der Materie im Universum: von Galaxien über Galaxienhaufen bis hin zu den größten uns bekannten Strukturen von Superhaufen und Filamenten, die große kosmische Leerräume wie Blasen in einem Schaumbad umgeben. Sie war die Wiege, in der sich Galaxien bereits früh ausbilden konnten. Sie umgibt und durchdringt unsere und andere Galaxien noch heute und hält sie zusammen, ist aber völlig unsichtbar. Wenig ist bisher über die Dunkle Materie bekannt, die knapp ein Viertel unseres Universums ausmacht. "Wir wissen vor allem, was Dunkle Materie nicht ist", erklärt Uwe Oberlack, der vor seiner Rückkehr nach Deutschland zehn Jahre lang in den USA auf diesem Gebiet und in der Hochenergie-Astrophysik geforscht hat. "Dunkle Materie ist nicht einfach nur durchsichtig, sondern sie ist komplett verschieden von jeder Materieform, die wir bisher kennen." Oberlack war am Aufbau des internationalen Forschungsprogramms XENON beteiligt, mit dem im italienischen Gran-Sasso-Massiv in einem unterirdischen Labor nach Bestandteilen der Dunklen Materie gesucht wird. Das derzeitige XENON100-Experiment ist eines von zwei weltweit führenden Experimenten zum Nachweis Dunkler Materie. Die Erforschung der Dunklen Materie gehört zu den wichtigsten wissenschaftlichen Vorhaben des nächsten Jahrzehnts. Das Universum besteht zu 23 Prozent aus Dunkler Materie, während unsere normale, sichtbare Materie nur 4,6 Prozent beiträgt. Der größte Teil mit 72 Prozent besteht aus Dunkler Energie, die für die beschleunigte Expansion des Universums verantwortlich ist und über die noch weniger als über die Dunkle Materie bekannt ist.
Dass es Dunkle Materie überhaupt gibt, wurde Anfang der 1930er-Jahre durch die Beobachtung von Galaxien in Galaxienhaufen postuliert: Sie bewegen sich viel zu schnell, als dass die Galaxienhaufen allein durch die Gravitation der sichtbaren Masse zusammengehalten würden. Später fand man einen ähnlichen Effekt in Spiralgalaxien. Eine andere Kraft müsste also für die hohe Rotationsgeschwindigkeit am Rande von Galaxien verantwortlich sein. Mittlerweile steht fest, dass es sich bei dieser Materie nicht um Quarks oder Elektronen handelt, die unsere Atome ausmachen. Auch andere Kandidaten wie Neutrinos scheiden weitgehend aus. "Wir vermuten heute, dass sich Dunkle Materie recht schnell nach dem Urknall gebildet hat", so Oberlack. "Sie besteht wahrscheinlich aus neutralen, massiven Teilchen, die mit anderen Teilchen nur schwach wechselwirken." Diese sogenannten "weakly interacting massive particles" oder WIMPs oder auch "Schwächlinge" sind bisher nicht entdeckt worden.
Oberlack sucht sie zusammen mit einem Forscherteam aus 12 Instituten tief unter der Erde in einem Xenon-Detektor, der vor kosmischer Strahlung abgeschottet wird. Das auf minus 95 Grad Celsius abgekühlte, flüssige Xenon soll Gran Sasso National Laboratory die WIMPs einfangen. Nach ersten Experimenten mit kleineren Detektoren sucht derzeit das XENON100-Experiment mit einer Masse von 62 Kilogramm und gegenüber dem Vorläuferexperiment hundertfach verringertem Untergrund nach Dunkler Materie. Dieses Experiment soll die derzeitige Sensitivitätsgrenze um einen weiteren Faktor 15 verbessern und testet damit direkt einen erheblichen Anteil der theoretisch interessanten "Neutralinos", einer WIMP-Art, die auf dem Konzept der Supersymmetrie beruht. Supersymmetrie oder SUSY ist eine postulierte neue Symmetrie der Natur, die erst bei hohen Teilchenenergien, etwa im frühen Universum oder in großen Beschleunigern wie dem LHC am CERN, erreicht würde.
Gestützt auf die erfolgreiche Datennahme mit XENON100, plant die XENON-Kollaboration bereits einen Detektor mit einer Masse von einer Tonne, um in drei Jahren nochmals um einen Faktor 50 bis 100 empfindlicher zu werden. Sind in der Tat Neutralinos die Teilchen der Dunklen Materie, so können sie in den nächsten Jahren im Labor nachgewiesen und einige ihrer physikalischen Eigenschaften könnten gemessen werden.