Studie der JGU zu NS-Belastung in französischen, österreichischen und westdeutschen Nachkriegsdebatten veröffentlicht
01.02.2022
In der unmittelbaren Nachkriegszeit ging es in erster Linie darum, den jeweiligen Staat wiederaufzubauen und weniger darum, die Schuld Einzelner festzustellen und zu ahnden. Das zeigt der Historiker Dr. Thorsten Holzhauser in seiner Arbeit, die jetzt in der Reihe Historische Zeitschrift, Beihefte publiziert wurde. In seinem Forschungsprojekt unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Rödder hat Holzhauser an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) den Umgang von Frankreich, Österreich und Westdeutschland mit Verantwortlichen für NS-Verbrechen und -kollaboration nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verglichen. Untersucht wurden insbesondere Parlamentsdebatten, Rechtsquellen und Zeitungsartikel aus den drei Ländern. Gefördert wurde das Forschungsprojekt durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Forschungsprogramm zur Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit zentraler deutscher Behörden.
In zahlreichen Arbeiten hat die Geschichtswissenschaft gezeigt, wie stark die frühe Bundesrepublik durch personelle und politische Kontinuitäten zur nationalsozialistischen Zeit geprägt war. Holzhauser ergänzt diese Studien durch einen internationalen Blick und erkennt europäische Tendenzen: "Der Fokus der Regierenden lag nach dem Zweiten Weltkrieg ganz klar auf dem Wiederaufbau, nicht nur von Wirtschaft und Infrastruktur, sondern auch von Demokratie und Nation. Einen allzu strengen Umgang mit den Schuldigen hielt man für hinderlich." Die Ausgangslage in den drei untersuchten Ländern war sehr unterschiedlich: Frankreich als eine der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, wo allerdings in erheblichem Maße mit dem nationalsozialistischen Regime kollaboriert wurde, Österreich als eine der Verlierermächte, zeitweise selbst faschistisch regiert, zeitweise dem Deutschen Reich angeschlossen, und schließlich Deutschland als Verlierermacht, Auslöser des Weltkriegs und Verursacher von millionenfachem Leid. Gemeinsam war den drei Ländern aber, dass mehr oder weniger große Gruppen ihrer Bevölkerung das NS-Regime unterstützt oder ihm angehört und sich dadurch schuldig oder zumindest mitschuldig an der Verfolgung und Ermordung unvorstellbar vieler Menschen gemacht hatten. "Wer aus welchem Grund als wie schwer belastet angesehen wurde und wie mit diesen Personen umzugehen war, wurde breit diskutiert", sagt der Historiker.
Für seine Studie hat Holzhauser Tausende von Schriftstücken analysiert, um nachzuvollziehen, ob ein Zusammenhang von Be- und Entlastungsdiskursen mit dem Wiederaufbau und der Konsolidierung der Demokratien zu erkennen ist. Trotz der unterschiedlichen Ausgangslage seien in allen drei Ländern ähnliche Argumentationsmuster in Politik und Medien verwendet worden und hätten auch zu ähnlichen Ergebnissen geführt: "So wurden beispielsweise in allen drei Staaten schon relativ bald Amnestiegesetze erlassen, durch die zahlreiche Personen entlastet und von ihren Strafen befreit wurden. Begründet wurde dieses Vorgehen insbesondere mit dem Ziel eines demokratischen Neustarts: Die nationalen Gemeinschaften sollten befriedet und versöhnt werden", resümiert Holzhauser.