Wie schreibt man in Wasser?

Forschende der JGU, der TU Darmstadt und der Universität Wuhan haben einen Ansatz entwickelt, mit dem man Tintenpartikel im Wasser zu Linien und Buchstaben anordnen kann

22.08.2023

Schreiben ist eine uralte Kulturtechnik – bereits vor mehreren tausend Jahren meißelten Menschen Schriftzeichen in Steinplatten. Zwar hat sich das Schriftsystem seither perfektioniert, doch ist eines geblieben: Sowohl die Keilschrift als auch die heutige Schrift nutzen feste Oberflächen, um die Schriftzeichen festzuhalten, also etwa Steintafeln oder Papier. Aber wie, so überlegten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), der TU Darmstadt und der Universität Wuhan in China, schreibt man in Wasser? Auf eine Art, wie dies etwa Flugzeuge tun, wenn sie den Himmel durchqueren und dabei weiße Streifen hinterlassen – in drei Dimensionen und nicht nur in zweien auf trockenem Papier? Tunkt man einen Füller ins Wasser in dem Versuch, ein Wort zu schreiben, dürfte dies nur mäßigen Erfolg haben: Es entstehen Wirbel im Wasser, wenn man den großen Füller hindurchzieht, die Schriftspur verwischt. Doch wie die Reynolds-Zahl angibt, sinkt die Zahl der entstehenden Wirbel, je kleiner das sich bewegende Objekt ist. Allerdings bräuchte man bei einem winzigen Stift wiederum ein großes Reservoir an Tinte, das die Vorteile des kleinen Schreibers zunichtemachen würde.

Als Stift dient ein Kügelchen aus Ionentauscher-Material

Das Forscherteam wählte daher einen ganz anderen Weg, um dieses grundsätzliche Hindernis zu umgehen: "Wir geben die Tintenpartikel direkt ins Wasser und nutzen als 'Stift' ein 20 bis 50 Mikrometer großes Kügelchen aus Ionentauscher-Material", erläutert Prof. Dr. Thomas Palberg von der JGU. Dieses Kügelchen ist klein genug, um keinerlei Wirbel zu erzeugen. Der Clou: Das Kügelchen tauscht das Restsalz des Wassers gegen Protonen aus und ändert somit lokal den pH-Wert des Wassers. Wird das Kügelchen über den Boden eines Wasserbads gerollt, hinterlässt es eine unsichtbare Spur niedrigen pH-Werts. Diese zieht wiederum die Tintenpartikel an – der von der "Schreibkugel" zurückgelegte Weg wird mit Tinte markiert und man erhält eine feine Linie von nur wenigen Hundertstel Millimetern Breite im Bereich des jeweilig niedrigsten pH-Werts.

Um einen Buchstaben im Wasser zu schreiben, reicht es, das Wasserbad so zu kippen, dass die Kugel den entsprechenden Weg rollt. "Für die ersten Versuche haben wir das Wasserbad händisch bewegt, später haben wir eine programmierbare Wippe konstruiert", erläutert Palberg. "So haben wir in einem Wasserbad von der Größe einer Ein-Euro-Münze beispielsweise das 'Haus vom Nikolaus' gemalt – so groß wie der I-Punkt einer 18-Punkt-Schrift – und dieses mit dem Mikroskop angesehen", sagt Palberg. "Das ist aber nur ein erster Schritt." Das Schreiben in einer durchgehenden Linie beliebiger Form funktioniert gut reproduzierbar, wie auch begleitende Simulationen bestätigen. Unterbrechungen des Schriftzugs, wie sie zwischen verschiedenen Buchstaben bestehen, lassen sich ebenfalls realisieren: Beispielsweise indem der Ionentauschvorgang durch Belichtung gezielt an- und ausgeschaltet wird. Auch Radieren und Korrigieren sind bereits möglich.

Genereller Effekt, der sich in verschiedene Richtungen optimieren lässt

Prof. Dr. Benno Liebchen und Lukas Hecht von der TU Darmstadt entwickelten ein theoretisches Modell, das den Mechanismus, der das Schreiben in Wasser ermöglicht, erklärt. Die zugehörigen Simulationen hätten gezeigt, dass der Mechanismus generisch, also allgemeingültig, sei und daher in Zukunft auf viele verschiedene Arten realisiert werden könne, sagt Liebchen, Leiter der Arbeitsgruppe Theorie Weicher Materie am Institut für Physik Kondensierter Materie (IPKM). "Als 'Stift' kommen neben Ionentauscher-Kugeln zum Beispiel auch Teilchen, die von Laserlicht erhitzt werden, oder sogar individuell gesteuerte Mikroschwimmer infrage", erklärte er. "Dies könnte ein hochgradig parallelisiertes Schreiben in Wasser ermöglichen. Der Mechanismus kann in Zukunft zum Beispiel genutzt werden, um selbst komplizierteste Konzentrationsmuster in Flüssigkeiten zu erzeugen."

Die theoretischen Berechnungen zeigen insbesondere, dass diese neue Art des Schreibens keineswegs an die Bodenfläche eines Wasserglases gebunden ist. Vielmehr handelt es sich um einen ganz generellen Effekt. Alles, was es braucht, damit die Linien für einige zehn Minuten gut sichtbar bleiben, ist ein schneller Transport der Tinte zu einer geschriebenen Spur und Auswaschung, die nur auf Diffusion basiert. Unter Verwendung UV-empfindlicher, "klebriger" Tinte ließe sich sogar eine noch längere Fixierung von Schriftzügen erreichen. Durch weiteren Austausch von Komponenten – etwa Stift, Art der Spur, Tinte oder Steuerung – lassen sich in Zukunft vielerlei Varianten realisieren. So ist beispielsweise denkbar, fluoreszierende Tinte oder mehrere sehr leichte Schreibkugeln zu benutzen, die sich dann mit Laserpinzetten in drei Dimensionen durch das Wasser bewegen lassen. Auf diese Weise könnten nicht nur selbstleuchtende Schriftzüge platziert, sondern auch Flüssigkeiten dreidimensional strukturiert werden. "Der Ansatz ist sehr robust und extrem modular", bestätigt Palberg, "und lässt sich in die verschiedensten Richtungen optimieren.“

Die Ergebnisse wurden kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Small veröffentlicht.

Forschungsprojekt im Rahmen der Kooperation der Rhein-Main-Universitäten

Das Forschungsprojekt erfolgt im Rahmen der Kooperation der strategischen Allianz der Rhein-Main-Universitäten (RMU), die die Goethe-Universität Frankfurt am Main, die Johannes Gutenberg-Universität Mainz und die Technische Universität Darmstadt als renommierte Forschungsuniversitäten bilden. Mit einer Rahmenvereinbarung im Dezember 2015 wurde diese bereits langjährig bestehende Partnerschaft zur strategischen Allianz ausgebaut, um die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit der Universitäten zu stärken, gemeinsam Studienangebote zu verbessern und Wissenstransfer und Vernetzung mit der Gesellschaft zu gestalten.