Wie die AfD seit 2015 nach rechts gerückt ist

Studie zum Rechtsruck der Alternative für Deutschland (AfD) und ihrer Wähler zwischen 2013 und 2017 auf Basis von Facebook-Analysen und der Deutschen Wahlstudie

11.07.2019

Während Machtkämpfe in der Alternative für Deutschland (AfD) und Kontroversen um ihre künftige Ausrichtung gerade wieder Schlagzeilen machen, zeigt eine neue Studie, wie sich die Partei in ihren Anfangsjahren von einer gemäßigten zu einer rechtsradikalen politischen Organisation gewandelt hat. Die Studie zeichnet die Entwicklung in den Jahren von 2013 bis 2017 anhand einer Analyse des Facebook-Auftritts der AfD und von Daten der Deutschen Wahlstudie nach. Die Politikwissenschaftler Prof. Dr. Kai Arzheimer und Dr. Carl Berning von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) zeigen, dass sich die AfD noch vor der sogenannten Flüchtlingskrise im Spätsommer 2015 ein neues Profil gegeben hat und ihre Wählerschaft praktisch gleichzeitig nach rechts wanderte – und seither mit dem Prototyp rechtsradikaler Wähler in anderen westeuropäischen Ländern vergleichbar ist. Diese parallele Entwicklung von Partei und Wählern hat in Verbindung mit der ansteigenden Bedeutung und Wahrnehmung von Immigration den Aufschwung der Partei begründet. Lag die AfD beispielsweise im ZDF-Politbarometer vom Juni 2015 noch deutlich unter 5 Prozent, konnte sie bereits im Oktober 2015 in derselben Umfrage 6 Prozent erreichen und überschritt zum Jahresende die 10-Prozent-Marke.

Seit den 1980er-Jahren sind rechtsradikale Parteien in den meisten westeuropäischen Ländern zu einem festen Bestandteil der politischen Landschaft geworden. Diesem Trend hat sich Deutschland jahrzehntelang entzogen. "Parteien rechts von CDU und FDP konnten ab und zu auf Landesebene punkten, aber extrem rechte Politiker standen in Deutschland vor hohen politischen und sozialen Hürden und hatten auf nationaler Ebene keinen nennenswerten Erfolg", erklärt Prof. Dr. Kai Arzheimer, Leiter der Abteilung Innenpolitik und Politische Soziologie am Institut für Politikwissenschaft der JGU. Diese deutsche Ausnahmesituation hat sich erst kürzlich geändert, als die AfD bei den Bundestagswahlen 2017 mit 12,6 Prozent der Stimmen in den Bundestag einzog.

Wandel von eurokritischer, bürgerlicher Partei zu rechtsradikaler Gruppierung

Dabei war die AfD nicht von Anfang an als rechtsradikale Partei gestartet, sondern als eurokritische, bürgerliche Partei, die ökonomischen Liberalismus und sozialkonservative Elemente vertrat. Ihre Mitglieder und Funktionäre rekrutierte die Partei aus enttäuschten Vertretern der deutschen Elite, darunter viele Professoren, Rechtsanwälte, Ärzte und ehemals Mitte-rechts-orientierte Politiker. Diese erste Garde der AfD vermied jeden Bezug zum Nationalsozialismus und Nachkriegs-Rechtsextremismus, aber auch zu modernen rechtsradikalen Parteien in anderen europäischen Ländern. Erst mit der Abwahl von Parteisprecher Bernd Lucke im Juli 2015 setzten sich die Vertreter eines populistischen Kurses in der AfD durch und stellten Immigration, Flüchtlinge und Islam als ihre neuen Kernthemen in den Mittelpunkt.

"Der Social-Media-Auftritt der AfD zeigt, wie sich der Fokus ändert und von den Themen Europa und Griechenland auf Islam und Immigration verlagert", so Arzheimer. "Wir fanden interessant, dass diese Neuausrichtung schon begonnen hatte, noch bevor Flüchtlinge nach Deutschland kamen." Mit der zunächst kaum regulierten Aufnahme von mehreren Hunderttausend Asylsuchenden im Spätsommer 2015 stieg automatisch die Bedeutung des Themas in der Öffentlichkeit – womit sich die Neuausrichtung der AfD seit dieser Zeit als erfolgreich erweist. "Die Führungskrise im Jahr 2015 und die politische Neuausrichtung hätten zum Untergang der AfD führen können, aber der Zustrom von Flüchtlingen spielte den Rechtsradikalen in die Hände und ihr Hauptthema stand plötzlich ganz vorn in der öffentlichen Wahrnehmung", schreiben Arzheimer und Berning in der Studie, die in der Fachzeitschrift Electoral Studies erschienen ist.

Dramatische Veränderung bei den Motiven der AfD-Wähler: Einstellung zu Migration wird entscheidend

Gleichzeitig mit der Neuausrichtung änderte sich auch die Wählerschaft der Partei: von den anfänglich gemäßigten, euroskeptischen Unterstützern aus einem bereiten politischen Spektrum hin zu Wählern am rechten Rand, für die die Zuwanderung alle anderen Themen überlagert. "Insgesamt zeigen uns die Daten der Deutschen Wahlstudie, dass sich die Wähler der AfD verändert haben und nun dem Prototyp des westeuropäischen populistischen, rechtsradikalen Wählers entsprechen", erklärt Arzheimer mit einem Hinweis darauf, dass Deutschland damit eine Entwicklung vollzog, die in den Nachbarländern Österreich, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Dänemark bereits viel früher eingesetzt hat. Heute seien die rechtsorientierten Parteien dieser Länder vergleichbar, wie auch ihre Bemühungen um Kooperation im Europäischen Parlament zeigten.

Der Erfolg der AfD, wie er sich bei der Bundestagswahl 2017 dann einstellte, geht offenbar nicht auf eine Zunahme zuwanderungskritischer Stimmungen per se zurück. Obwohl 2015 und 2016 eine große Zahl von Asylbewerbern nach Deutschland kam, hat sich zwischen 2013 und 2017 die Haltung in Sachen Immigration gegenüber dem langjährigen Durchschnitt nicht wesentlich verändert, so die Analyse der Daten aus der Deutschen Wahlstudie. Was sich allerdings verändert hat, ist die Bedeutung der Haltung zu Immigration, also die Relevanz des Themas für die politische Diskussion und für die Wahl der AfD: Wichtigstes Motiv für die Unterstützung der AfD wird jetzt der Einsatz für eine restriktive Immigrationspolitik.

Die Ergebnisse der Studie bestätigen nach Darstellung der Autoren Erkenntnisse aus anderen europäischen Ländern, wonach die ablehnende Haltung gegenüber Immigration ausschlaggebend ist. Wie andere rechtsgerichtete Parteien auch konnte die AfD ihre Anhänger mobilisieren, indem sie die Gefahr einer ethnischen Bedrohung skizzierte. Die soziodemografische Analyse deutet darauf hin, dass vor allem Menschen, die sich selbst als benachteiligt empfinden und durch Modernisierungsprozesse verunsichert sind, von der AfD angezogen sind.

In einem Fazit regen Arzheimer und Berning an, bei künftigen Forschungsarbeiten vermehrt Social-Media-Daten zu nutzen. "Die Analyse von Social-Media-Auftritten gibt uns ein besseres Verständnis davon, wie populistische Parteien versuchen, an den traditionellen Medien vorbei mit ihren Anhängern zu kommunizieren. Damit können wir die Selbstdarstellung solcher Akteure besser einordnen", so die beiden Autoren.