Biosynthese des Lichtsammelcarotinoids Fucoxanthin unerwartet komplex / Ausgangspunkt sind Pigmente zum Schutz gegen hohe Lichtintensitäten
14.09.2022
Kieselalgen sind winzige Einzeller, die weltweit in Gewässern vorkommen und dort durch Fotosynthese große Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid aufnehmen und in Biomasse umwandeln. Die Aufnahme des blaugrünen Anteils des Sonnenlichts erfolgt dabei über das Carotinoid Fucoxanthin. Ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung einer Arbeitsgruppe der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) hat nun herausgefunden, wie die Algen dieses wichtige, weitverbreitete Pigment herstellen. Die Arbeit wurde in der renommierten Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht.
Syntheseweg von Fucoxanthin war bislang unbekannt
Die in Ozeanen und Süßwässern gleichermaßen weit verbreiteten Kieselalgen – auch als Diatomeen bezeichnet – sind die weltweit artenreichste Algengruppe und für etwa ein Fünftel der globalen fotosynthetischen Kohlendioxidaufnahme verantwortlich. Im Gegensatz zu den grünen Blättern der Landpflanzen sind die mikroskopisch kleinen Einzeller braun gefärbt. Diese charakteristische Färbung wird durch das Lichtsammelcarotinoid Fucoxanthin verursacht – es ermöglicht eine effiziente Absorption des blaugrünen Anteils des Sonnenlichts für die Fotosynthese der Algen. Fucoxanthin ist eines der häufigsten Carotinoide auf der Erde und ein wichtiger Treiber der Fotosynthese in den Weltmeeren. In den letzten Jahren ist Fucoxanthin auch wegen seines pharmazeutischen Potenzials zunehmend ins Forschungsinteresse gerückt. Fucoxanthin, das auch in Braunalgen vorkommt, erhielt seinen Namen bereits vor 150 Jahren und seine chemische Struktur wurde in den 1960er-Jahren vollständig aufgeklärt. Bis jetzt war allerdings immer noch nicht bekannt, wie Algen diesen wichtigen Naturstoff synthetisieren.
In einer gemeinsamen Veröffentlichung in PNAS haben nun die Arbeitsgruppen von Dr. Martin Lohr an der JGU, Prof. Dr. Graham Peers an der Colorado State University in Fort Collins in den USA und Prof. Dr. Xiaobo Li an der Westlake University in Hangzhou in China den Biosyntheseweg dieses Pigments in Kieselalgen weitgehend aufgeklärt. Dazu haben sie in der Kieselalge Phaeodactylum tricornutum mit der Genschere CRISPR/Cas9 gezielt Gene für Kandidatenenzyme ausgeschaltet, die eine Ähnlichkeit zu Enzymen mit bereits bekannter Funktion in der Carotinoidbiosynthese von Landpflanzen aufweisen. Bei zwei Enzymkandidaten führte das Ausschalten zu einer "Ergrünung" der sonst braun gefärbten Phaeodactylum-Zellen. Weitere Untersuchungen bestätigten, dass diese Mutanten anstelle von Fucoxanthin nun andere Carotinoide ansammeln und eine deutlich schlechtere Lichtausbeute der Fotosynthese zeigen. Durch die Identifizierung der neuen Carotinoide und die biochemische Charakterisierung der in den Mutanten ausgeschalteten Enzyme konnten die Autoren erstmals einen vollständigen Weg der Fucoxanthinbiosynthese in Kieselalgen vorschlagen.
Synthese erfolgt über komplexen Weg mit zuvor unbekannten Zwischenstufen
Dieser Syntheseweg ist deutlich komplexer als ursprünglich angenommen und enthält drei bisher nicht beschriebene Carotinoide als Zwischenstufen. Mithilfe von bioinformatischen Sequenzanalysen der neu identifizierten Enzyme und anhand ihrer Verbreitung in Algen konnten die Autoren außerdem zeigen, dass der Biosyntheseweg in Kieselalgen durch Duplikation von bereits vorhandenen Genen für Enzyme zur Bildung von Lichtschutzcarotinoiden entstanden ist. Den Biologen zufolge wurden Carotinoide in fotosynthetisch aktiven Organismen ursprünglich als Pigmente zum Schutz gegen zu hohe Lichtintensitäten verwendet. Ihre Arbeiten belegen nun, dass Kieselalgen aus dem Enzym-Werkzeugkasten für die Bildung dieser Schutzpigmente wiederholt Werkzeuge vervielfältigt und für die Kopien neue Funktionen entwickelt haben. Dadurch konnten die Algen schließlich komplexer aufgebaute Carotinoide mit veränderten Absorptionseigenschaften bilden, die sich besonders gut als Lichtsammelpigmente eignen. Interessanterweise fehlen den evolutionär jüngeren Braunalgen diese zusätzlichen Enzyme sowie die neu identifizierten Carotinoid-Zwischenprodukte. Dies legt nahe, dass Braunalgen einen abgewandelten Syntheseweg für Fucoxanthin nutzen.
Eine Übertragung des vollständigen Fucoxanthinbiosynthesewegs in andere Organismen ist allerdings noch nicht möglich. "Wir haben zwar jetzt alle Zwischenstufen charakterisiert, aber es sind noch immer nicht alle am Syntheseweg beteiligten Enzyme bekannt", sagt Arbeitsgruppenleiter Dr. Martin Lohr vom Institut für Molekulare Physiologie (IMP) der JGU. Allerdings erwarten die Autoren, dass die Identifizierung der noch fehlenden Enzyme dank ihrer Ergebnisse nun deutlich erleichtert wird. Darüber hinaus eröffnen die grünen Phaeodactylum-Mutanten ganz neue Untersuchungsmöglichkeiten für ein besseres Verständnis der Biogenese und der Funktion des Fotosyntheseapparats in den ökologisch wichtigen Kieselalgen.