Anstieg der Übergewichtsprävalenz deutscher Kinder präzise berechnet
31.07.2012
Wissenschaftler um den Mainzer Sportmediziner Perikles Simon gehen anhand neuer Analysen davon aus, dass Kinder kurz nach ihrer Einschulung dick werden. Bis zum Alter von 5 Jahren verhält sich die Gewichtsentwicklung von Kindern in Deutschland noch genauso wie vor rund 20 Jahren. Rund 10 Prozent der Kinder sind in diesem Altersspektrum damals wie heute als übergewichtig zu klassifizieren. In den ersten 5 Lebensjahren lässt sich sogar eine leichte Tendenz erkennen, dass Kinder vergleichsweise leichter sind als noch vor 20 Jahren. "Es folgen dann drei Jahre, in denen wir im Gegensatz zu einer internationalen und einer deutschen Vergleichspopulation von damals plötzlich eine deutliche Zuwachsrate an Übergewicht ausfindig machen können", erklärt Sascha Hoffmann vom Institut für Sportwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Die Sportmediziner der JGU hatten sich, unterstützt durch die Abteilung für Kognition und Wahrnehmung der Universität Tübingen, eine relativ einfache Frage gestellt: Wann genau werden deutsche Kinder dick? Das Ergebnis ist jetzt in der führenden Fachzeitschrift für Fettleibigkeit Obesity (Silver Spring) nachzulesen.
Sascha Hoffmann hat im Rahmen seines Promotionsvorhabens öffentlich zugängliche Daten des Robert Koch-Instituts, die im Rahmen der von 2003-2006 laufenden Studie "Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland" (KiGGS) erhoben wurden, eingehender untersucht. Für die Analyse der Daten brachte der Tübinger Kognitionspsychologe Rolf Ulrich ein Verfahren zum Einsatz, das im Gegensatz zu den typischen Datenanalysen in Altersgruppen eine objektivere Einschätzung ermöglicht, wann genau sich stärkere Veränderungen in Datensätzen finden lassen. Hier zeigte sich, dass das Maximum der Zunahme an übergewichtigen Kindern in Deutschland recht eng begrenzt um das Alter von 7,2 Jahren liegt. Mit 8 Jahren sind über 20 Prozent der deutschen Kinder übergewichtig. Vor rund 20 Jahren waren es nur 10 Prozent der Kinder. Diese Quote an Übergewichtigen bleibt durch die vermeintlich kritische Phase der Pubertät hindurch bis zur Volljährigkeit relativ konstant.
Diese Erkenntnis liefert wichtige Ansatzpunkte für die Bekämpfung des fortschreitenden Übergewichts in Deutschland. Ein Aspekt, den sich die Forscher in den kommenden Jahren nun noch genauer ansehen werden, ist die Auswirkung der Einschulung auf das Gewicht unserer Kinder. Sie wollen herausfinden, wie die Gewichtsanstiege in gerade dieser Lebensphase zu erklären sind. Studienleiter Prof. Dr. Dr. Perikles Simon warnt davor, die Gründe für den Gewichtsanstieg insbesondere im schulischen Alltag zu vermuten: "Unsere Kinder wurden auch schon vor 20 Jahren eingeschult und kommen auch heute in ein ähnliches schulisches Umfeld. Nur früher war eben keine rapide Zunahme des Übergewichts zu verzeichnen. Wir gehen hier von einem recht komplexen Zusammenspiel mehrerer Faktoren aus, die aber wahrscheinlich überwiegend im häuslichen Umfeld der Kinder zu suchen sind."
Für die Forscher steht ferner fest, dass die Grundlagen für eine relativ rapide Zunahme des Anteils an Übergewichtigen während des ersten Schuljahrs höchstwahrscheinlich schon im Kindergartenalter gelegt werden. Hierzu wurde bereits eine Basisdatenerhebung in 35 Mainzer Kindertagesstätten durchgeführt, um das Phänomen näher zu untersuchen. Unterstützt wurden die Forscher hierbei durch die inneruniversitäre Forschungsförderung, das Aktionsprogramm "Kinderfreundliches Rheinland-Pfalz" des Ministeriums für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen sowie durch die Landeshauptstadt Mainz. Auch die derzeit laufenden Längsschnittdatenerhebungen in den Mainzer Grundschulen finden regional große Unterstützung. "Bei all dem bisher erlangten positiven Zuspruch brauchen wir allerdings trotzdem demnächst finanzielle Unterstützung durch weitere Partner, um geeignete Interventionsprogramme entwickeln zu können", so Simon.