Vom Computergame in die Hände der Wissenschaft: Die Rechenkünstler aus der Spiele-Welt

Mainzer Wissenschaftler verwenden Grafikkarte zur Berechnung eines Standardproblems der Physik

09.06.2009

Wenn auf dem Computerbildschirm jedes einzelne Barthaar eines Magiers zu erkennen ist, dann steckt eine leistungsfähige Grafikkarte dahinter. Eine GPU, die Abkürzung steht für Graphics Processing Unit, besitzt heute fast jeder Computer. Sie muss in Bruchteilen von Sekunden die Bildelemente und die einzelnen Bildpunkte neu berechnen. Aber die Grafikkarte kann noch wesentlich mehr. Wissenschaftlern der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist es gelungen, eine bekannte Problemstellung aus der Physik auf einer Grafikkarte 60 Mal schneller durchzurechnen als üblich. "Der Boom in der Computerspiele-Branche hat dazu beigetragen, dass heute extrem leistungsfähige Grafikkarten zur Verfügung stehen", erklärt Dr. Johannes Josef Schneider vom Schwerpunkt für rechnergestützte Forschungsmethoden in den Naturwissenschaften an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. "Wir haben diese Rechenpower nun in ganz andere Bahnen gelenkt und dafür genutzt, das Standardproblem der statistischen Physik zu untersuchen", ergänzt Dipl.-Phys. Tobias Preis, der die Berechnungen im Rahmen seiner Doktorarbeit vorgenommen hat. Die Ergebnisse hat das Fachmagazin Journal of Computational Physics veröffentlicht.

Vor einem Jahrzehnt, so berichtet Schneider, habe der Zauberer in einem Adventure-Game mit seinem Stab auf den Boden geklopft, wenn er einen Fluch ausgesprochen hat. Heute müsse zudem sein Bart im Wind flattern und jedes einzelne Haar zu sehen sein. "Die Anforderungen der Spiele-Industrie haben die Entwicklung von Grafikkarten vorangetrieben, sodass sie immer schneller wurden." Mittlerweile sind sie so schnell, dass sie bei bestimmten Rechenaufgaben den dafür eigentlich zuständigen zentralen Computer-Bausteinen, den Hauptprozessoren, überlegen sind. Denn während die Central Processing Units (CPU) alles hintereinander abarbeiten, können Grafikkarten viele kleinere Aufgaben gleichzeitig lösen. "Wir können ein Fußballfeld entweder mit einem Rasentraktor mähen und dabei Bahn um Bahn abfahren, oder aber wir nehmen 50 kleine Hand-Rasenmäher und lassen sie gleichzeitig auf jeweils einer Bahn starten", illustriert Preis. "Die Hand-Rasenmäher beziehungsweise die Grafikkarten sind schneller fertig."

Um das zu demonstrieren, hat Tobias Preis, Doktorand am Institut für Physik und Junior-Mitglied der Gutenberg-Akademie, das Standardproblem der statistischen Physik untersucht: das Ising-Modell, benannt nach dem Wissenschaftler Ernst Ising. Hierbei geht es um die Beschreibung des Ferromagnetismus, wie er beispielsweise in Stabmagneten vorkommt. Unterhalb einer bestimmten Temperaturschwelle richten sich die Elementarmagnete von Eisen, Kobalt oder Nickel nach einer Richtung aus, das Material wird magnetisch. In seiner Simulation hat Preis die einzelnen Teilchen wie auf einem Schachbrett platziert und ihre Ausrichtung, den sog. Ising-Spin, je nach Temperatur berechnen lassen. "Das Schachbrett eignet sich wunderbar für die GPU-Anwendung, weil wir zunächst alle schwarzen Felder und danach alle weißen Felder parallel berechnen können", erklärt Preis. Seine Ergebnisse sind sowohl für den zweidimensionalen als auch für den dreidimensionalen Fall in sehr guter Übereinstimmung mit theoretischen Kalkulationen bzw. anderen Simulationen. Preis hat dazu aber nur einen Bruchteil der Zeit gebraucht, die mit einem Hauptprozessor benötigt würde. "Im zweidimensionalen Beispiel sind wir mit der Grafikkarte 60 Mal schneller, im dreidimensionalen Bereich immerhin noch 35 Mal schneller." Zeit, die nicht nur Schnelligkeit bedeutet, sondern auch Energieeinsparung und Kostensenkung.

Dass derartige Rechnungen heute möglich sind, ist nicht zuletzt den Hardware-Herstellern zu verdanken, die das Potenzial der Grafikkarten erkannt haben und mit Erweiterungen, insbesondere der CUDA-Technologie (NVIDIA), die Anwendung in der Wissenschaft erst ermöglichen. Die beschränkt sich indessen nicht nur auf die Physik. Preis selbst untersucht beispielsweise auch Phänomene an Finanzmärkten: Warum es am Aktienmarkt immer wieder zu Blasen und plötzlichen Abstürzen kommt. Weitere Anwendungen auf verschiedenen Gebieten wie der Astrophysik und der Geologie, der Optimierung und den Politikwissenschaften werden sicherlich folgen. Ein Indikator für das Potenzial, das in der Verwendung von Grafikkarten schlummert, zeigt auch das große Interesse an Preis' Arbeit seitens der wissenschaftlichen Gemeinschaft: Der Quellcode seines Programms wurde in kürzester Zeit bereits über 1000 Mal heruntergeladen.