Vierte Ausbaustufe des Mainzer Mikrotron wird Experimente in der Hyperkernphysik ermöglichen

Wissenschaftler wollen inneren Kern von Neutronensternen verstehen

04.10.2006

Kernphysiker sind gleichzeitig in der Welt der kleinsten Teilchen und in den Weiten des Universums zuhause, indem sie sich mit dem Aufbau unserer Materie beschäftigen, um dadurch auch die Phänomene des Weltalls zu erkären. Eine der brennendsten Fragen der Astrophysik betrifft die Zusammensetzung von Neutronensternen. Diese entstehen, wenn ein Stern mit zumindest der anderthalbfachen Masse der Sonne explodiert und sich danach zusammenzieht bis er nur noch einen Durchmesser von zehn bis 30 Kilometern hat. Die Masse bleibt dabei die gleiche. "Neutronensterne haben eine unglaublich hohe Dichte, zehnmal so groß wie in einem normalen Atomkern", erklärt Prof. Dr. Josef Pochodzalla vom Institut für Kernphysik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). "Damit wir dieses Phänomen verstehen, müssen wir mehr über die Wechselwirkung zwischen Hyperonen und den normalen Bauteilchen der Atomkerne wissen." Erkenntnisse darüber erwarten sich die Mainzer Kernphysiker von der Inbetriebnahme der vierten Stufe des Elektronenbeschleunigers MAMI.

Hyperonen kommen in unserer normalen Materie nicht vor. Sie können im Elektronenbeschleuniger erzeugt werden, indem ein Elektron mit ausreichend hoher Energie auf ein Proton geschossen wird, sodass aus dem Proton zwei neue Teilchen entstehen: ein Kaon und ein Hyperon, die beide ein Strange-Quarkteilchen enthalten. Das ursprüngliche Elektron und das Kaon fliegen anschließend aus dem Atomkern heraus und lassen das Hyperon zurück. Das Kaon dient den Physikern als Nachweis, dass dieses extrem seltene sogenannte Strangeness-Produktionsereignis stattgefunden hat. "Das Ziel ist es, ein möglichst niederenergetisches Hyperon zu erzeugen, sodass es im Atomkern eingebaut wird", erläutert Pochodzalla. "So können wir Details über die Kernstruktur lernen und dadurch vielleicht auch dem Geheimnis der Neutronensterne auf die Spur kommen."

Hyperkerne sind Atomkerne, die nicht nur die üblichen Protonen und Neutronen, sondern zusätzlich auch Hyperonen enthalten. Sie bieten eine einzigartige Chance, die Wechselwirkungen zwischen Hyperonen einerseits und Protonen und Neutronen andererseits zu untersuchen. Diese Informationen wiederum gelten als unerlässlich, um den inneren Kern von Neutronensternen zu verstehen. Über die Zusammensetzung dieser Materie gehen die Vermutungen weit auseinander: Sie könnte aus zusammengepressten, gewöhnlichen Neutronen bestehen, aus Hyperonen oder aber aus freien Quarks, so die Spekulationen.

Das Studium von Hyperkernen würde jedoch auch andere Rätsel lösen helfen. Es handelt sich um sehr kurzlebige Teilchen, die eine Lebensdauer von nur einer Milliardstel Sekunde haben. Wenn die Physiker den Zerfall untersuchen könnten, würden sie mehr über die schwache Wechselwirkung erfahren, eine der vier Grundkräfte in der Physik, und über die ersten Augenblicke bei der Entstehung des Universums.

Für die Experimente auf dem Gebiet der Hyperkernphysik wird in Mainz derzeit der Elektronenbeschleuniger, das Mainzer Mikrotron MAMI, mit einer vierten Stufe ausgebaut. Erste Tests zur Beschleunigung in MAMI-C sollen Ende 2006 laufen. Mit dem Ausbau wird der Elektronenstrahl, der auf Protonen oder Neutronen zielt, von der bisherigen Energie von maximal 850 auf 1.500 Megaelektronenvolt (MeV) erhöht. Um das Kaon, das mit der Bildung des Hyperons einhergeht, dann zu entdecken, wird derzeit die bestehende Anlage aus drei magnetischen Spektrometern um ein neues Spektrometer namens Kaos ergänzt.

Ist es schon schwierig genug, ein Hyperon in den Atomkern einzuschließen, so ist es bisher fast unmöglich, einen Doppelhyperkern mit zwei Hyperonen zu schaffen. Bislang ist dies weltweit erst dreimal gesichert gelungen. "Hier möchten wir in Zukunft zusammen mit der GSI in Darmstadt eine Massenproduktion aufbauen, sobald der Darmstädter Antiprotonenspeicherring fertig ist", kündigt Pochodzalla an. Falls Neutronensterne auch aus Hyperonen bestehen, wären Doppelhyperkerne der einzige Weg, um präzise Informationen über die Wechselwirkung zwischen zwei Hyperonen zu erhalten.

Mainz und künftig auch die GSI in Darmstadt gehören zu den weltweit bedeutenden Zentren der Hyperkernphysik neben dem Jefferson Lab in Virginia in den USA, dem Hochenergiebeschleuniger KEK in Japan, FINUDA im italienischen Frascati und den Anlagen in Dubna in Russland.