Ursprung der Frauen mit deformiertem Schädel im frühmittelalterlichen Bayern geklärt

Palaeogenomische Studie untersucht Hunneninvasion und weibliche Migration im Frühmittelalter Süddeutschlands

13.03.2018

Nach dem Ende des Römischen Reichs und der wechselvollen Phase der Völkerwanderungszeit folgt in Mitteleuropa die Periode des frühen Mittelalters. Es ist die Epoche, in der viele Siedlungen gegründet werden, die sich in der Folge zu den Dörfern und Städten entwickeln, wie wir sie heute noch kennen. In Mitteleuropa wird diese Epoche gemeinhin mit verschiedenen barbarischen Stämmen, wie etwa Alamannen, Franken oder Langobarden, in Verbindung gebracht. Welche Bevölkerungen populationsgenetisch tatsächlich hinter diesen Begriffen stecken, ist bislang nicht untersucht worden. Ein internationales Team um die Anthropologin Dr. Michaela Harbeck von der Staatssammlung für Anthropologie München und den Populationsgenetiker Prof. Dr. Joachim Burger von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) hat nun Bevölkerungen untersucht, die in der Zeit um 500 n. Chr. auf dem ehemaligen Gebiet des Römischen Reichs in Bayern lebten, und sind zu verblüffenden Resultaten gekommen.

Neben Mainzer und Münchner Anthropologen gehören zu dem Team auch Dr. Brigitte Haas-Gebhard von der Archäologischen Staatssammlung München, die archäologische Leiterin des Projekts, sowie Kollegen aus den USA, Großbritannien und der Schweiz. Sie analysierten in einer interdisziplinären Studie, die die VolkswagenStiftung gefördert hat, die alten Genome von etwa 40 mittelalterlichen Menschen aus Süddeutschland. Während ein Großteil der alten Bayern genetisch wie Mittel- beziehungsweise Nordeuropäer aussieht, fällt eine Gruppe von Individuen völlig aus diesem Raster. Diese Gruppe war zuvor schon durch Verformungen ihrer Schädel aufgefallen. Es ist bekannt, dass solche Deformationen in unterschiedlichen Bevölkerungen und zu unterschiedlichen Zeiten vorgenommen wurden, um dem Schädel eine charakteristische Turmform zu verleihen. Michaela Harbeck erklärt dazu: "Eltern umwickelten dafür den Kopf ihrer Kinder einige Monate lang nach der Geburt mit Bandagen, um die gewünschte Kopfform zu erreichen. Warum sie dieses aufwendige Verfahren durchführten, ist heute schwierig zu beantworten, aber wahrscheinlich wurde damit einem bestimmten Schönheitsideal nachgeeifert oder vielleicht auch eine Gruppenzugehörigkeit angezeigt." Über den Ursprung des Brauchs in Europa gab es bislang nur Vermutungen. "Für viele galt die Hypothese, dass die Hunnen die Tradition der Schädeldeformation nach Ost- und Mitteleuropa gebracht haben", erklärt Brigitte Haas-Gebhard.

Die historisch-genetischen Untersuchungen ergaben jedoch, dass es sich bei den mittelalterlichen Personen mit Schädeldeformation um Frauen handelte, die um 500 n. Chr. aus dem Schwarzmeerraum in die bayerischen Siedlungen migriert waren. "Zwar gibt es deutliche Hinweise, dass es auch Einflüsse aus Zentral- oder gar Ostasien gab, aber die genomische Herkunftsanalyse verweist darauf, dass die Frauen mit deformiertem Schädel genetisch heutigen Bulgaren und Rumänen am ähnlichsten sind", stellt Burger fest und fügt hinzu: "Ein direkter genetischer Einfluss von zentralasiatischen Hunnen kann nur marginal gewesen sein."

Dabei unterschieden sich diese Frauen nicht nur durch ihre deformierten Schädel, sondern sie fielen auch durch andere äußerliche Merkmale, etwa durch eine deutlich dunklere Haar- und Augenfarbe, auf. Die große Mehrheit der anderen Bayern war blond und blauäugig, so wie man es heute allenfalls in Skandinavien findet.

Aber die Migration nach Bayern endete nicht mit diesen Frauen. Nur wenig später lassen sich zwei Personen nachweisen, die ihre nächsten genetischen Verwandten unter heutigen Griechen oder Türken besitzen. Und wieder waren es Frauen. "Es ist dies ein einmaliges Beispiel von weiblicher Mobilität, die größere Kulturräume überbrückt", sagt Burger. "Wir müssen damit rechnen, dass noch viele weitere, bislang ungeahnte bevölkerungsdynamische Phänomene an der Genese unserer frühen Städte und Dörfer mitgewirkt haben."

Haas-Gebhard von der archäologischen Staatssammlung München hat sich mit den Grabbeigaben und der Tracht der alten Bayern beschäftigt und bemerkt: "Die meisten der fremden Frauen sind kulturell dem Rest der Bevölkerung sehr ähnlich und wirken assimiliert. Alleine aus den materiellen Hinterlassenschaften hätten wir diesen Fall nicht so rekonstruieren können."

"Interessanterweise finden sich in den untersuchten frühen Einwohnern Bayerns keinerlei genetische Spuren, die auf ein mediterranes Erbe hindeuten, wie es durch Soldaten der römischen Armee hätte kommen können", ergänzt Harbeck und fügt abschließend hinzu: "Wieviel Kelten und Römer in diesen frühen Bajuwaren stecken, müssen wir allerding auf noch breiterer Basis weiter untersuchen."