Sprachwissenschaftlerin Uta Reinöhl erhält Heinz Maier-Leibnitz-Preis 2019

Nachwuchswissenschaftlerin forscht zu grammatischen Strukturen in unterschiedlichen Sprachen

29.05.2019

Die Sprachwissenschaftlerin Dr. Uta Reinöhl vom Department of English and Linguistics der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) hat den Heinz Maier-Leibnitz-Preis 2019 erhalten. Der Preis wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vergeben und gilt als die wichtigste Auszeichnung zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland. Dieses Jahr wurden insgesamt drei Wissenschaftlerinnen und sieben Wissenschaftler mit dem Heinz Maier-Leibnitz-Preis geehrt. Uta Reinöhl befasst sich in ihrer Forschungsarbeit insbesondere mit der Frage, wie in menschlichen Sprachen komplexe Ausdrücke, beispielsweise Nominalphrasen oder Sätze, aus einzelnen Wörtern aufgebaut werden. Sie vergleicht dazu Sprachen, die sich in der Art und Weise, wie solche komplexe Ausdrücke gebildet werden, grundlegend unterscheiden. Die Linguistin kam im Februar 2019 von der Universität zu Köln an die JGU und leitet hier eine DFG-geförderte Emmy Noether-Nachwuchsgruppe.

Mechanismen von flexiblen, nicht hierarchischen Sprachsystemen verstehen

Ein Ausdruck wie beispielsweise "schöne Welt" kann in verschiedenen Sprachen aus ganz unterschiedlichen Bausteinen gebildet werden. In westeuropäischen Sprachen wie dem Deutschen oder dem Englischen werden dazu Wortarten wie Substantive und Adjektive kombiniert. Andere Sprachen wie etwa Sanskrit und Warlpiri, eine australische Sprache, kennen diese vorfixierten Wortarten nicht, sondern sie nutzen einen großen Pool an "nominalen" Wörtern, die flexibel eingesetzt werden. Ein und dasselbe Wort kann zum Beispiel je nach Verwendung sowohl "schön" als auch "Schönheit" bedeuten. Erst wenn man die Wörter in den Satzzusammenhang stellt, erschließt sich für den Zuhörer dann aus dem Kontext oder aus der Stellung im Satz, was genau gemeint ist.

Welche Mechanismen in flexiblen, nicht hierarchischen Sprachsystemen am Werk sind und die jeweilige Verwendung eines Wortes im Satzkontext bestimmen, untersuchen Uta Reinöhl und ihre Arbeitsgruppe anhand von vier Sprachen: dem vedischen Sanskrit, Warlpiri, Waima’a und Kera’a. Vedisches Sanskrit ist die älteste Sprachstufe des indoarischen Sprachzweigs der indoeuropäischen Sprachfamilie und wurde im zweiten und ersten Jahrtausend vor Christus in Indien gesprochen. Bei Warlpiri handelt es sich um eine australische Sprache aus Zentralaustralien. Waima’a gehört zur austronesischen Sprachfamilie und wird von einer kleinen Bevölkerungsgruppe auf Ost-Timor gesprochen. Kera’a schließlich ist eine bislang unerforschte sino-tibetische Sprache in Nordostindien.

Bandbreite der unterschiedlichen grammatischen Systeme erfassen

"Das Besondere an diesen Sprachen ist, dass sie unsere traditionellen Vorstellungen, wie Grammatiken funktionieren, ein bisschen auf den Kopf stellen", erklärt Reinöhl zu der Auswahl. "Diese Sprachen erweitern deutlich unseren Horizont." Nominalphrasen wie "schönes Schwarz" oder Verbalphrasen wie "schnell rennen" werden hier grundlegend anders gebildet als etwa im Deutschen, Englischen oder Französischen.

In allen vier ausgewählten Sprachen lässt sich also das Phänomen beobachten, dass grammatische Strukturen nicht hierarchisch sind und Elemente der gleichen Wortart zu komplexeren Ausdrücken kombiniert werden können. "Wir versprechen uns von der Untersuchung dieser Sprachsysteme neue, vertiefte Einblicke in die ganze Breite der Möglichkeiten grammatischer Organisation", teilt die Linguistin Reinöhl zu den Forschungszielen mit. Während das Feld bisher nur in Einzelaspekten untersucht wurde, möchte sie mit der Emmy Noether-Gruppe verschiedene Forschungsstränge zusammenführen und die verschiedenen Sprachen parallel betrachten. So sollen über einzelsprachliche Erkenntnisse hinaus Ähnlichkeiten und Unterschiede herausgearbeitet werden mit der Absicht, den Variationsraum der grammatischen Systeme weltweit genauer abzustecken.

Uta Reinöhl studierte Allgemeine Sprachwissenschaft, Philosophie und Englische Philologie am University College Dublin und an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Sie promovierte an der Universität zu Köln mit einer Arbeit zum Thema "Grammaticalization and the rise of configurationality in Indo-Aryan", für die sie den Wilhelm von Humboldt-Preis für die beste Dissertation der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft sowie weitere Auszeichnungen der Studienstiftung des Deutschen Volkes und der Universität zu Köln erhielt. Seit ihrem letzten Promotionsjahr war Uta Reinöhl Assistentin in der Abteilung Allgemeine Sprachwissenschaft an der Universität zu Köln und verbrachte einen fast zweijährigen Forschungsaufenthalt als Feodor-Lynen-Stipendiatin der Alexander von Humboldt-Stiftung an der Australian National University in Canberra. Seit 2018 ist Uta Reinöhl an der Universität zu Köln Projektleiterin des Teilprojekts "Predicating in Indo-Aryan" im Sonderforschungsbereich 1252 "Prominence in Language" sowie des DFG-Projekts "VedaWeb", das eine Forschungsplattform für altindische Texte aufbaut. Uta Reinöhl leitet seit Februar 2019 zudem eine Emmy Noether-Forschungsgruppe am Department of English and Linguistics der JGU zum Thema "Non-hierarchicality in grammar. Construction formation without word class distinction across categories and languages".

Die Auszeichnung mit dem Heinz Maier-Leibnitz-Preis erfolgte am 28. Mai 2019 in Berlin. Der Preis ist mit jeweils 20.000 Euro dotiert. Nach Angaben der DFG waren für die diesjährige Preisrunde insgesamt 129 Forscherinnen und Forscher aus allen Fachgebieten vorgeschlagen worden, von denen ein Auswahlausschuss die zehn Preisträgerinnen und Preisträger ausgewählt hat.