Neue Erkenntnisse einer Studie an der Uni Mainz gewähren Einblicke in die Medienarbeit am Verhandlungstisch
28.02.2023
Tarifverhandlungen etwa bei der Post, im Einzelhandel oder dem öffentlichen Dienst sorgen auch aktuell für emotionale Debatten in den Medien. Die Annahme, dass diese öffentliche Aufmerksamkeit auch die Arbeit im geschlossenen Verhandlungsraum prägt, hat das Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) nun in der Breite der Tariflandschaft geprüft. Die Ergebnisse zeigen: Auch wenn im Zuge der Tarifrunden das Verhandeln das Gros der Arbeit ausmacht, investierten beide Verhandlungsseiten einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer Zeit in die Medienarbeit. Beide Seiten empfanden die Medien dabei weder als Chance noch als Risiko. Allerdings sah gut die Hälfte der Befragten konkrete Einflüsse der Berichterstattung auf die Verhandlungen.
In ihrer Online-Befragung haben Prof. Dr. Oliver Quiring, Dr. Christina Viehmann und Marlene Schaaf 326 Verhandlungsexpertinnen und -experten bei Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Unternehmen zu ihren Erfahrungen befragt. Dabei standen Tarifpartner aus den größten deutschen Branchen im Fokus. Im Vorfeld hatten die Forschenden dafür das Tarifgeschehen systematisch rekonstruiert. Keiner anderen wissenschaftlichen Untersuchung ist es bislang gelungen, einen solchen Perspektivenreichtum zu erfassen.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer blicken im Verhandlungsprozess unterschiedlich auf Medien
So zeigte sich etwa, dass Gewerkschaften im Vergleich zur Arbeitgeberseite aktiver auf Journalistinnen und Journalisten zugehen. Auch investierte die Arbeitnehmerseite während der Tarifrunden mehr Zeit in die Medienarbeit. Welche Rolle Medien im Verhandlungsprozess spielten, unterschied sich auch zwischen den Branchen. Denn die Befragten nahmen für ihre Branchen jeweils unterschiedlich viel mediale Resonanz wahr: 34 Prozent der Vertreterinnen und Vertreter aus der Branche der Verkehrs- und Postdienste hatten das Gefühl, dass in den Medien viel bis sehr viel über ihre Tarifverhandlungen gesprochen wird. Bei der Branche der chemischen Industrie sowie der Kunststoff- und Glasindustrie waren es hingegen lediglich 5 Prozent.
Die Ergebnisse erhärten Befunde aus einer Vorstudie
Vor dieser quantitativen Befragung hatten die Forschenden bereits Leitfadeninterviews mit ausgewählten Expertinnen und Experten geführt. Dort gelang ein erster und zugleich detaillierter Blick hinter die Kulissen, der ein ambivalentes Verhältnis offenbarte: Einerseits sahen die Verhandlungsexpertinnen und -experten die Chance, eine wohlwollende öffentliche Stimmung als Argument in den Verhandlungen zu nutzen. Anderseits stellten Medien die Sozialpartner auch vor die Herausforderung, die Kontrolle über die vielen unterschiedlichen Meinungen im Aushandlungsprozess zu behalten und den Rückhalt der eigenen Mitglieder auch nach der Tarifrunde zu sichern.