Rückkehr von Geflüchteten in ihre Herkunftsländer braucht reale Perspektiven und selbstbestimmte Entscheidungen

PRIM-Studie untersucht Situation von Geflüchteten, um Ausgangslage für eine "freiwillige" Rückkehr ins Herkunftsland zu verbessern

05.11.2020

In den Jahren 2014 und 2015 war die Zahl der Asylanträge in Deutschland deutlich gestiegen und in der Folge verstärkte die Bundesregierung ihre Bemühungen, die Ausreise von Geflüchteten mithilfe von Rückkehrprogrammen zu fördern. Seit 2016 werden die Bemühungen um die sogenannte "freiwillige" Rückkehr und Reintegration in die Herkunftsländer durch das Programm "Perspektive Heimat" der Bundesregierung unterstützt. Im Rahmen einer Auftragsforschung haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) aus dem Blickwinkel der Sozialen Arbeit die Bedürfnisse, Verletzlichkeit und die Unterstützung von Geflüchteten in Deutschland untersucht und grundlegend gefragt, inwiefern eine Auseinandersetzung mit dem Thema Rückkehr stattfindet und welche Vorstellungen von Rückkehr die Befragten haben. Zudem wurden in der PRIM-Studie Erkenntnisse über die Bekanntheit und Nutzung von Unterstützungsangeboten zur Alltagsbewältigung und Planung einer Rückkehr gewonnen. Das Ergebnis zeigt, dass eine gelingende Rückkehr wesentlich von der Ausgangssituation und den Vorbereitungen in Deutschland abhängt. Dabei gilt es, die Selbstständigkeit und Handlungsfähigkeit der betroffenen Menschen zu stärken und Zukunftsperspektiven zu entwickeln, die der Lebenswelt der Geflüchteten entsprechen. Die Beratung bei diesem Prozess sollte vollständig in die Zuständigkeit der Einrichtungen der Sozialen Arbeit gegeben werden, die über jahrzehntelange Erfahrung und Kompetenz in diesem Kontext verfügen.

Lebensweltnahe Rückkehrperspektiven mit den Geflüchteten entwickeln

Das Programm "Perspektive Heimat" wird von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) durchgeführt und erstreckt sich auf folgende Herkunftsländer: Ägypten, Afghanistan, Albanien, Gambia, Ghana, Irak, Kosovo, Marokko, Nigeria, Pakistan, Senegal, Serbien und Tunesien. Die Maßnahmen zur Rückkehr und zur wirtschaftlichen und sozialen Reintegration umfassen Informations- und Beratungsangebote, aber auch Projekte zur Qualifizierung und zur Förderung der Beschäftigung und Existenzgründung für Geflüchtete, die in ihre Herkunftsländer zurückkehren.

Die Aufgabe der aktuellen PRIM-Studie – die Abkürzung steht für "Projekt Rückkehrinteressierte Migrantinnen und Migranten" – war es vor diesem Hintergrund, den Bedarf an Unterstützungsangeboten und den Zugang zu diesen zu ermitteln. "Unsere Forschungsfrage war, wie Geflüchtete aus den 13 Herkunftsländern bei der Entwicklung einer beruflichen und sozialen Zukunftsperspektive unterstützt werden können", erklärt Prof. Dr. Claudia Olivier-Mensah, Leiterin der Studie. Zum Beginn der Untersuchung Anfang 2019 stammten knapp 600.000 Schutzsuchende aus den 13 Fokusländern von "Perspektive Heimat". Wegen des unterschiedlichen Status – offener, anerkannter, abgelehnter Schutzstatus – ist das Interesse dieser Menschen an einer Rückkehr sehr unterschiedlich. Die "freiwillige Rückkehr" ist in zahlreichen Fällen lediglich die Alternative zu einer zwangsweisen Rückführung, demnach einer Abschiebung, was die Bezeichnung der "Freiwilligkeit" unpassend erscheinen lässt.

Rückkehrangebote werden oft als Bedrohung wahrgenommen

Nach einer ersten statistischen Datenanalyse zur Zielgruppe der Geflüchteten in Deutschland führte das Forscherteam im Lauf des Jahres 2019 bundesweit 62 Interviews durch, sowohl mit Geflüchteten selbst als auch mit diversen Unterstützungsakteuren. "Interviews mit Geflüchteten im Themenfeld der Rückkehr sind ausgesprochen herausfordernd. Die Menschen sind sehr skeptisch und zurückhaltend, vor allem wenn sie keine Aufenthaltsgenehmigung besitzen", so Olivier-Mensah. Die Projektleiterin und ihr Team haben die Ergebnisse der Studie in einer 94-seitigen Publikation für die GIZ als Auftraggeber zusammengestellt.

Demnach erleben die Geflüchteten die Anfangsphase in Deutschland als sehr belastend: Sie fühlen sich in einen passiven Zustand versetzt, können keiner Arbeit nachgehen, keine Sprachkurse besuchen und sind häufig gesundheitlich belastet. Vor diesem Hintergrund werden Rückkehrangebote eher als eine Bedrohung wahrgenommen. "Das Ziel dieser Menschen war ja, hier zu bleiben", ergänzt Olivier-Mensah. Die Situation verändert sich, wenn die Betroffenen einen Aufenthaltsstatus bekommen und eine Rückkehr dann auch als wirklich freiwillige Entscheidung empfunden werden kann.

Studie gibt sieben Handlungsempfehlungen für Neuausrichtung der Rückkehrberatung

Die Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler haben in ihrer Studie sieben Handlungsempfehlungen für das Programm "Perspektive Heimat" sowie für Akteurinnen und Akteure der Rückkehrpolitik formuliert. An erster Stelle steht die Empfehlung, den Rückkehrbegriff neu zu definieren: Rückkehr müsse nicht zwangsläufig in einer dauerhaften Niederlassung mit dem hoffnungslosen Bild der "Sackgasse" im Herkunftsland enden. Ein weiterer Ratschlag betrifft die Unterstützung für vulnerable Gruppen wie Frauen, Kinder – dazu gehören auch unbegleitete Minderjährige – und ältere Menschen. Sie bedürfen für die Entwicklung von Zukunftsperspektiven im Herkunftsland spezifischer Unterstützungsangebote. "Ohne die Gewährleistung besonderer Hilfen ist die Rückkehr für vulnerable Gruppen aus humanitärer Sicht fragwürdig", sagt Olivier-Mensah.

Weitere Empfehlungen betreffen unter anderem die Berücksichtigung von Suchtproblemen, die Stärkung der Autonomie der Zielgruppe und die Planung der Rückkehr zum richtigen Zeitpunkt, eine transnationale Begleitung der Rückkehrerinnen und Rückkehrer, eine Fokussierung auf die Ankommens- und Anfangsphase im Herkunftsland sowie eine verstärkte Vernetzung der Rückkehrpolitik mit diversen Unterstützungsakteuren. Insbesondere aber sollte die Rückkehrberatung ganzheitlich in der Sozialen Arbeit verankert werden. "Wir empfehlen, dass die Rückkehrberatung grundsätzlich Teil einer ganzheitlichen Lebensberatung auf der alltäglichen Ebene der Betroffenen sein sollte, um den Zugang so niederschwellig wie möglich zu gestalten", fasst Olivier-Mensah zusammen. Denn in der Studie kam heraus, dass Unterstützungsangebote, die spezifisch das Thema Rückkehr adressieren, oft abschreckend wirken. Indem zudem alternative Zukunftsperspektiven wie Bleibemöglichkeiten oder eine Weiterwanderung in ein anderes Land in der Beratung behandelt werden, wird Rückkehr zu einer Option neben anderen und könnte so ein bewussteres Thema für die Geflüchteten werden.

"Die Soziale Arbeit leistet anhand des Lebensweltbezugs eine offene Zukunftsberatung und bringt Themen an die Oberfläche, die in der Alltagswelt der Klientinnen und Klienten von Bedeutung sind. Prinzipiell gilt der Grundsatz der Sozialen Arbeit, Hilfe zur Selbsthilfe und zur Ermächtigung zu leisten und die Akteurinnen und Akteure so zu beraten, dass selbstbestimmte Rückkehrentscheidungen möglich sind", heißt es in der Studie, die über die Universitätsbibliothek Mainz öffentlich zugänglich ist.

Die Studienleiterin Prof. Dr. Claudia Olivier-Mensah war von 2014 bis 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Postdoktorandin am Institut für Erziehungswissenschaft im Arbeitsbereich Sozialpädagogik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Von 2011 bis 2015 war sie zudem geschäftsführende Referentin des Forschungszentrums TRANSSOS, das sich mit Prozessen der transnationalen sozialen Unterstützung beschäftigt hat. Seit Oktober 2019 ist die Diplom-Pädagogin Professorin an der IUBH Internationale Hochschule in Frankfurt am Main.