Kalkablagerungen im Wasserkanal wurden systematisch entfernt / Instandhaltung im Einklang mit römischen Empfehlungen
04.08.2023
Aquädukte aus der Zeit des Römischen Reichs liefern uns heute wertvolle Hinweise über die Art und Weise ihrer einstigen Nutzung und über das Klima in der Antike. Sie informieren uns zudem über die soziale Dynamik und Veränderungen der Bevölkerung zur damaligen Zeit. Ein Forschungsteam der Universität Oxford und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) zeigt, wie der Aquädukt von Divona nahe der südwest-französischen Gemeinde Cahors über einen Zeitraum von fast 100 Jahren gewartet wurde und welche Rückschlüsse auf die lokale Entwicklung daraus zu ziehen sind. Darüber hinaus werden mit der in Scientific Reports erschienenen Studie die schriftlichen Empfehlungen des römischen Senators Frontinus für Wartungsarbeiten an Aquädukten vermutlich zum ersten Mal archäologisch bestätigt.
Kalkablagerungen erzählen von vergangenen Zeiten
Der Aquädukt von Divona zählt zu den ältesten Aquädukten in Frankreich. Er stammt aus dem frühen ersten Jahrhundert n.Chr. und versorgte die gallorömische Stadt Divona Cadurcorum, das heutige Cahors. Dazu wurde das Wasser von einer Quelle im Vers-Tal über 31,6 Kilometer zu den örtlichen Bädern geleitet. Der Kanal des Aquädukts ist über lange Strecken in den Fels gehauen und weiter als gemauerter Kanal gebaut. Er war vermutlich bis ins 4. oder sogar 5. Jahrhundert n.Chr. in Benutzung. "Der Aquädukt ist eine beeindruckende technische Leistung. Weil er kalkhaltiges Wasser geführt hat, liefert er uns außerdem spannende Informationen über die Zeit vor fast 2.000 Jahren", erklärt Dr. Gül Sürmelihindi von der Universität Oxford, Erstautorin der Studie.
Römische Aquädukte, die von Quellen oder Flüssen in Kalksteinregionen gespeist wurden, führten typischerweise hartes Wasser mit sich, das gelöstes Kalziumkarbonat enthielt. Wenn dann beim Transport im Kanal Kohlendioxid über die Wasseroberfläche austrat, fiel das gelöste Karbonat aus und lagerte sich an den Wänden und am Boden des Kanals ab. Über die Jahrzehnte konnten diese Kalkablagerungen mehrere Zentimeter dick werden und die Wasserleitung verstopfen, falls sie nicht entfernt wurden.
"Im Falle von Divona können wir die genaue Zeit, in der sich die Ablagerungen gebildet haben, derzeit nicht datieren. Aber sie müssen aus einer späten Phase des Aquädukts stammen, sehr wahrscheinlich aus dem 3. oder 4. Jahrhundert", erklärt Sürmelihindi zur Einordnung der gefundenen Kalkablagerungen.
Römische Aquädukte – Archive für ungeschriebene Geschichte
Anhand dieser Kalkablagerungen lässt sich sowohl die Nutzung eines Aquädukts als auch das Klima in der Antike über lange Zeiträume von Jahrzehnten bis zu Jahrhunderten ermitteln. Die Verwendung als Umwelt- und Klimaarchiv ist jedoch beeinträchtigt, falls die Ablagerungen bei Wartungsarbeiten in der Antike teilweise entfernt wurden. Andererseits bietet gerade dieses Problem wiederum eine neue, einzigartige Gelegenheit, um das römische Wassermanagement zu untersuchen. "Die Aquädukte sind in verschiedener Hinsicht Archive für ungeschriebene Geschichte", führt die Geoarchäologin aus.
Die Forschungsgruppe um Dr. Gül Sürmelihindi und Prof. Dr. Cees Passchier, Forschungsprofessor an der JGU, entdeckte an dem Aquädukt von Divona Spuren regelmäßiger Wartungsarbeiten, bei denen Kalkablagerungen mithilfe von Werkzeugen entfernt wurden. Außer den Werkzeugspuren bemerkten die Forschenden Schäden an den Kalzitkristallen, kleine Verformungszwillinge, die sich bilden können, wenn Kristalle von einem schweren Gegenstand wie einer Hacke getroffen werden. Das Team bestimmte zunächst die jahreszeitlichen Temperaturschwankungen des Wassers im Aquädukt und nutzte dieses Profil, um die jährlich abgelagerten Schichten zu zählen – und somit 88 Jahre Aquäduktaktivität zu erfassen.
Kalkablagerungen sind wie die Seiten in einem Buch der Wasserwirtschaft
In diesen 88 Jahren wurde der Kanal regelmäßig gereinigt. Die Zeitabstände zwischen den einzelnen Wartungsarbeiten betrugen ein bis fünf Jahre, im Durchschnitt 2,8 Jahre. "Jede Reinigung wurde zügig durchgeführt und dauerte wahrscheinlich höchstens einen Monat. Sie erfolgte außerdem nie im Sommer, wenn die Menschen das meiste Wasser benötigten", berichtet Sürmelihindi. Dieses Muster entspricht den Empfehlungen des römischen Senators und Schriftstellers Sextus Iulius Frontinus zur Instandhaltung der Aquädukte der Stadt Rom, der einzig bekannten Abhandlung zu diesem Thema. Die jetzt vorgelegte Studie könnte nun die erste Forschungsarbeit sein, die die theoretischen Wartungsempfehlungen von Frontinus archäologisch bestätigt.
Außerdem fand das Forschungsteam zwei Horizonte in den Ablagerungen, in denen der Kanal mit einem roten, wasserdichten Mörtel, Opus Signinum, repariert worden war. Während dieser Phasen war der Wasserzufluss für längere Zeit unterbrochen. "Es ist seltsam, so lange Pausen zu sehen und sich vorzustellen, wie die Einheimischen ohne eine kontinuierliche Wasserversorgung ausgekommen sind", so Sürmelihindi. Insgesamt, so das Ergebnis, wurden im Laufe von 88 Jahren mindestens 28 Reinigungs- und zwei Reparaturarbeiten durchgeführt. In den letzten Jahren des Aquädukts von Divona wurden die Wartungsintervalle verlängert und die Reinigungsarbeiten wurden seltener. Dies ging der endgültigen Aufgabe des Wasserversorgungssystems voraus. "Vermutlich ist dies auf einen Bevölkerungsrückgang und damit geringeren Wasserverbrauch zurückzuführen oder aber darauf, dass weniger Ressourcen für die Instandhaltung zur Verfügung standen", so Prof. Dr. Cees Passchier. "Vielleicht wechselte auch die Leitung des Wartungsteams und dadurch die Reinigungsstrategie, weshalb die Reinigungen weniger häufig erfolgten."
Neue Instrumente für die Archäologie
"Wir sind der Meinung, dass diese Art von Untersuchungen ein neues, leistungsfähiges Instrument in der Archäologie sein können, um die lokale Wirtschaft und die politische Stabilität zu beurteilen", erklärt Dr. Gül Sürmelihindi. "Eine regelmäßige Instandhaltung kann als Beweis für die gut strukturierte Organisation einer antiken Stadt gewertet werden, während eine weniger regelmäßige Instandhaltung oder ihr komplettes Fehlen auf sozioökonomischen Stress hindeuten könnte."
Gül Sürmelihindi ist Geoarchäologin und verbindet in ihrer Forschung geochemische Methoden mit archäologischen Fragestellungen, um mehr über die Geschichte der Menschheit und natürliche Prozesse und deren Zusammenspiel zu erfahren. Seit Oktober 2021 ist sie als Marie Skłodowska-Curie Research Fellow an der School of Archaeology der Universität Oxford tätig, zuvor war sie als Postdoc in der Gruppe von Cees Passchier an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz beschäftigt.