Rechnen mit dem Zufall: Skyrmionen finden Anwendung in neuartiger Computer-Technologie

Erster Schritt in Richtung tatsächlicher Anwendung magnetischer Skyrmionen

24.04.2019

Wissenschaftlern der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ist es gelungen, ein Schlüsselelement für eine neuartige Computeranwendung zu entwickeln. Das Element basiert auf den gleichen magnetischen Strukturen, die auch bereits für die Speicherung elektronischer Daten auf magnetischen Schieberegistern, den Racetracks, erforscht werden. Dort werden die sogenannten Skyrmionen, magnetische Wirbelstrukturen, als Bit-Einheiten zur Datenspeicherung untersucht. Nun jedoch wurde ein neuer Ansatz vorgestellt, der sich besonders in Richtung Probabilistisches Rechnen bewegen soll – ein alternatives Konzept für die elektronische Datenverarbeitung, bei dem Informationen nicht wie üblich als 1 und 0 übertragen werden, sondern durch Wahrscheinlichkeiten. Dabei könnte die Zahl 2/3 zum Beispiel ausgedrückt werden durch eine lange Kette von 1 und 0, die jedoch im Mittelwert 2/3 ergibt. Das Schlüsselelement, das diesem Ansatz fehlte, war ein funktionierender Bit-Reshuffler, also ein Gerät, das eine Zahlensequenz zufällig umordnet, ohne die Anzahl von 1 und 0 in der Sequenz zu ändern. Genau dies soll nun von den Skyrmionen erreicht werden. Die Forschungsarbeit wurde im Fachmagazin Nature Nanotechnology publiziert.

Die wissenschaftliche Studie wurde auf dünnen magnetischen Metallfilmen durchgeführt. Sie wurden in Mainz optisch in einem speziellen Mikroskop untersucht, das die magnetische Ausrichtung der Filme sichtbar machte. Die Filme haben die spezielle Eigenschaft, senkrecht zur Filmebene magnetisiert zu sein, was erst die Stabilisierung der magnetischen Skyrmionen ermöglicht. Skyrmionen kann man sich grundsätzlich wie kleine magnetische Wirbel vorstellen, ähnlich einem Haarwirbel. Diese Strukturen weisen eine sogenannte topologische Stabilisierung auf, was sie generell gegen eine zu leichte Zerstörung sichert – ähnlich dem Versuch, den Haarwirbel wegzukämmen. Genau diese Eigenschaft macht Skyrmionen sehr vielversprechend für technische Anwendungen, wie hier als Informationsspeicher. Der Vorteil ist, dass die erhöhte Stabilität die Wahrscheinlichkeit von ungewolltem Datenverlust verringert beziehungsweise die Erhaltung der Gesamtzahl der Bits sicherstellt.

Reshuffler für die Organisation der Datensequenz

Die generelle Funktionsweise des Reshufflers beruht darauf, dass er eine feststehende Anzahl von Eingangssignalen wie 1 und 0 erhält und die Reihenfolge der Signale verändert, also mixt, sodass am Ende eine Sequenz mit der gleichen Anzahl von 1 und 0, aber zufällig umgeordneter Reihenfolge entsteht. Da Skyrmionen durch Strom verschoben werden können, ist der erste Teil der Aufgabe, also die Datensequenz von Skyrmionen in das Gerät zu schieben, relativ einfach. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Projekts schafften es aber nun erstmals, die Skyrmionen im Reshuffler selbst thermisch diffundieren zu lassen, was deren genaue Bewegungen völlig unvorhersehbar machte. Diese Unvorhersehbarkeit ermöglichte es wiederum, die Bitsequenz zufällig umzuordnen, wobei dennoch alle Bits erhalten blieben. Dieses neu entwickelte Element ist nun das Puzzleteil, das bisher noch fehlte, damit Probabilistisches Rechnen grundsätzlich verwirklicht werden kann.

Zusammenarbeit verschiedener Forschungsgebiete bringt Erfolg

"Der Erfolg ergibt sich aus drei Teilen: Erstens ist es gelungen, ein Material herzustellen, in dem sich die Skyrmionen rein thermisch bewegen können; zweitens wurde gesehen, dass wir uns Skyrmionen als Teilchen vorstellen können, die sich ähnlich wie Pollen in einer Flüssigkeit bewegen. Am Ende haben wir gezeigt, dass das Reshuffler-Prinzip in experimentellen Systemen anwendbar ist und dass es zur Wahrscheinlichkeitsrechnung benutzt werden kann. Die Forschung war eine Kooperation zwischen mehreren Instituten und es hat mir sehr gefallen, dass ich an dem Projekt teilnehmen konnte", betont Dr. Jakub Zázvorka, Erstautor der Veröffentlichung. Zázvorka forschte als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Gruppe von Prof. Dr. Mathias Kläui an der Anwendbarkeit von Skyrmion-Diffusion und ist mittlerweile an der Universität Prag tätig.

"Ich finde es besonders spannend, dass wir in unseren Experimenten zeigen konnten, dass topologische Skyrmionen ein geeignetes System sind, mit dem man Fragestellungen nicht nur aus der Spintronik, sondern auch aus der statistischen Physik untersuchen kann. Hier konnte die Exzellenz-Graduiertenschule MAINZ eine Zusammenarbeit zwischen Bereichen der Physik fördern, die bisher häufig nebeneinander gearbeitet haben, aber offensichtlich sehr voneinander profitieren können. Insbesondere freue ich mich auf eine weitere Zusammenarbeit zu topologischen Spinstrukturen mit den beteiligten Gruppen aus der theoretischen Physik, in Zukunft auch im Rahmen unseres neuen Zentrums TopDyn – Dynamics and Topology", unterstreicht Mathias Kläui, Professor am Institut für Physik der JGU und Direktor der Graduiertenschule Materials Science in Mainz (MAINZ).

"Diese Arbeit zeigt, dass das Gebiet der Spintronik interessante neuartige Hardware-Möglichkeiten bietet, die unter anderem in dem gerade an der JGU gegründeten Emergent Algorithmic Intelligence Center zu algorithmischer Intelligenz als emergentem Phänomen untersucht werden", merkt Dr. Karin Everschor-Sitte an, Mitglied des Lenkungsausschusses des Forschungszentrums und Leiterin der Emmy Noether-Forschungsgruppe TWIST am Institut für Physik der JGU.