Reiner Quanteneffekt als Schlüssel zu besserem Verständnis der subatomaren Welt / Vielfältige Mainzer Expertise in neuem Forschungsprogramm gebündelt
01.04.2022
In der klassischen Physik ist die Interferenz, also die Überlagerung von Lichtwellen, ein wohlbekanntes Phänomen. Eine Wechselwirkung der Lichtstrahlen untereinander im Sinne einer Streuung ist jedoch klassisch unmöglich. In der subatomaren Welt hingegen, die durch Quanteneffekte beschrieben wird, wechselwirken die Lichtquanten – auch Photonen genannt – sehr wohl miteinander. Mehr noch: Photon-Photon-Wechselwirkungen spielen eine zentrale Rolle im Standardmodell der Teilchenphysik. Ein besseres Verständnis dieses reinen Quanteneffekts ist der Schlüssel, um zu wichtigen neuen Erkenntnissen sowohl innerhalb des Standardmodells als auch darüber hinaus zu gelangen. Die Photon-Photon-Wechselwirkung steht daher im Fokus einer neuen Forschungsgruppe an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), die gerade durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) bewilligt wurde und in den nächsten vier Jahren zunächst mit etwa 3,5 Millionen Euro gefördert wird. Sprecher ist Experimentalphysiker Prof. Dr. Achim Denig, Co-Sprecher der theoretische Physiker Prof. Dr. Marc Vanderhaeghen – beide vom Institut für Kernphysik der JGU.
Der Effekt der Licht-Licht-Streuung wurde bereits 1936 von Euler und Heisenberg theoretisch vorhergesagt, aber erst kürzlich am Large Hadron Collider (LHC) am CERN experimentell bestätigt. Dabei wechselwirken Photonen auch in der Quantenwelt nicht direkt miteinander. Die Streuung geschieht vielmehr durch die Vermittlung virtueller Teilchen, die aufgrund der Heisenbergschen Unschärferelation kurzzeitig aus dem Vakuum erzeugt werden können – zum Beispiel unter Vermittlung von Quarks, die der starken Wechselwirkung unterliegen. Diese sogenannte hadronische Licht-an-Licht-Streuung liefert neben anderen hadronischen Effekten wichtige Beiträge zur theoretischen Vorhersage von Präzisionsgrößen im Rahmen des Standardmodells, wobei jedoch eine Berechnung dieser Effekte sehr komplex und daher oftmals in ihrer Genauigkeit limitiert ist. "Ziel der Forschungsgruppe ist es, die existierenden Beschränkungen in der Beschreibung der Photon-Photon-Wechselwirkungen aufzuheben. Dies hat weitreichende Konsequenzen für unser Verständnis subatomarer Materie sowie für Präzisionstests des Standardmodells – zum Beispiel hinsichtlich des anomalen magnetischen Moments des Myons", betont Prof. Dr. Achim Denig. "Die Photon-Photon-Wechselwirkung ist somit ein Schlüssel für vielfältigste Entdeckungen in der Hadronen- und Teilchenphysik. Dabei bietet ihr Studium sogar das Potenzial, neue Teilchen jenseits des Standardmodells nachzuweisen – etwa axionartige Teilchen als aussichtsreiche Kandidaten für Dunkle Materie."
Messungen an verschiedenen Teilchenbeschleunigern ergeben vollständiges Bild
Der vollständige Titel der neuen Forschungsgruppe lautet "Photon-Photon-Wechselwirkungen innerhalb und jenseits des Standardmodells – vollständige Nutzung des Entdeckungspotenzials von MESA bis hin zum LHC". Er beschreibt, dass die Grundlage für ein besseres Verständnis neben innovativen theoretischen Berechnungen vor allem auch Messungen an Teilchenbeschleunigern sind. In der Forschungsgruppe werden Messungen am neuen MESA-Beschleuniger an der JGU bei niedrigsten Energien und höchsten Intensitäten mit Hochenergie-Messungen am Large Hadron Collider (LHC) in Genf kombiniert. Ebenso wichtig sind experimentelle Daten bei mittleren Energieskalen am Mainzer Beschleuniger MAMI und dem BES-III-Experiment in China, die wiederum in die theoretischen Berechnungen einfließen.
Die neue Forschungsgruppe vereint die große Mainzer Expertise auf all diesen Forschungsgebieten und zeichnet sich durch eine einzigartige Kooperation zwischen Experimentalphysikerinnen und -physikern und theoretischen Physikerinnen und Physikern aus. Dabei ergeben sich zahlreiche Synergien, um die Photon-Photon-Wechselwirkung auf allen Ebenen und von Grund auf zu verstehen und nachzuvollziehen. Die Forschungsgruppe ist ferner eingebettet in das Forschungsprogramm des Mainzer Exzellenzclusters PRISMA+ und bindet internationale Kooperationspartner aus Polen, China und vom CERN mit ein.