Open-Access-Sammlung "Open MIND" mit frei zugänglichen Arbeiten zu Geist, Gehirn und Bewusstsein im Internet verfügbar

MIND Group leistet Pionierarbeit in autonomer Publikation wissenschaftlicher Texte / 92 Autoren und Kommentatoren tragen zu Textsammlung "Open MIND" bei

21.01.2015

Mit einer ungewöhnlichen, innovativen Aktion feiern die Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der MIND Group um den Mainzer Philosophieprofessor Thomas Metzinger ein rundes Jubiläum. Anstatt sich, wie in wissenschaftlichen Kreisen oft üblich, zu einem einmaligen Event wie einer Konferenz zusammenzufinden, geben Prof. Dr. Thomas Metzinger und Dr. Jennifer Windt eine rund 2.000 Seiten umfassende Aufsatzsammlung heraus, die den neuesten Stand der Forschung auf dem Gebiet Geist, Gehirn, Bewusstsein und Selbstbewusstsein dokumentiert. Die Edition ist ab sofort im Internet unter http://open-mind.net für alle Interessierten frei zugänglich, wird später auch als Buch erscheinen. Daran mitgewirkt haben ein lokales Team von fortgeschrittenen Studierenden an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und als Autoren 92 Junior- und Seniormitglieder der MIND Group, darunter international herausragende Wissenschaftler, die in verschiedenen Bereichen der Philosophie, Psychologie und Neuroforschung arbeiten. Die Veröffentlichung erfolgt in englischer Sprache und wird international bekanntgemacht. Die MIND Group feiert mit der großen Online-Publikation ihr 20. Treffen und ihr mittlerweile mehr als 10-jähriges Bestehen.

Prof. Dr. Thomas Metzinger hat die MIND Group im Jahr 2003 gegründet, um jungen deutschen Philosophen eine Plattform zu geben, die sie mit der internationalen Forschergemeinschaft in Kontakt bringt und damit an die neuesten Entwicklungen in der modernen Philosophie des Geistes anbindet. Dazu trifft sich eine wechselnde Gruppe von fortgeschrittenen Studierenden, Doktoranden und Nachwuchswissenschaftlern aus vielen Ländern zweimal jährlich in Frankfurt mit prominenten Gästen, in der Regel im Gästehaus des Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS), das die Gruppe seit vielen Jahren organisatorisch unterstützt. Diese Treffen werden durch die Barbara-Wengeler-Stiftung in München finanziell gefördert. "Ich war auf der Suche nach innovativen Formen der Nachwuchsförderung", erklärt Metzinger, Leiter des Arbeitsbereichs Theoretische Philosophie und der Forschungsstelle Neuroethik an der JGU, den Anstoß für die Gründung. In der MIND Group treffen Juniormitglieder nicht nur mit etablierten Wissenschaftlern zusammen, sondern Experten aus der analytischen Philosophie des Geistes oder Ethik begegnen empirisch arbeitenden Forschern aus den Kognitions- und Neurowissenschaften und bilden gemeinsam ein sich entwickelndes Netzwerk, das neue, wegweisende Theorien verfolgt und gleichzeitig versucht, neue Formen von Interdisziplinarität zu kultivieren.

Ein Ergebnis dieser fruchtbaren Zusammenarbeit ist die Online-Publikation "Open MIND" – Vorreiter in vielerlei Hinsicht. Die Sammlung umfasst 39 Originalaufsätze und zu jedem Originalaufsatz wurden je ein Kommentar und eine Replik veröffentlicht. "Jeder dieser Texte wurde viermal begutachtet, wobei unsere Juniormitglieder sowohl eigene Texte verfasst als auch Texte renommierter Wissenschaftler editiert und anonym begutachtet haben. So waren sie in allen Stadien des Gesamtprojekts aktiv eingebunden, haben neue wissenschaftliche Fertigkeiten erworben und den Prozess autonomen elektronischen Publizierens kennengelernt", erklärt Metzinger. Die Gruppe hat eine professionelle Qualitätskontrolle eingerichtet, die dem sogenannten Peer-Review-Prozess großer Wissenschaftsjournals entspricht und dabei gleichzeitig – auch dies war ein Ziel des Projekts – so gut wie alle etablierten Verlage und Fachzeitschriften hinsichtlich Tempo hinter sich lässt: Die Edition wurde innerhalb von nur etwas mehr als 10 Monaten abgeschlossen.

"Open MIND" bietet für interessierte Leser aus dem akademischen Bereich einen wertvollen Fundus neuester philosophischer, kognitions- und neurowissenschaftlicher Diskussionen über die Grundlagen unseres Denkens, über Wahrnehmung, Bewusstsein und ethische Normen. Es wurde dabei streng auf die Originalität und die zukunftsweisende, innovative Qualität der Beiträge geachtet. Zum Beispiel schreibt der Frankfurter Neurophysiologe Wolf Singer über den Stand der Suche nach dem neuronalen Korrelat für das Bewusstsein, unter anderem mithilfe bildgebender Verfahren. Einer der führenden Vertreter der Philosophie des Geistes aus den USA, Daniel Dennett, erklärt, warum das Bewusstsein eine Illusion sein könnte. Heiko Hecht, experimenteller Psychologe der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, entwickelt eine neue Idee darüber, was genau eine Illusion ausmacht.

"Mit dieser Sammlung möchten wir einen substanziellen und innovativen Beitrag leisten, der hoffentlich einen wichtigen und nachhaltigen Einfluss auf die wissenschaftlichen Diskussionen zu den philosophischen Fragen von Geist und Gehirn weltweit ausüben wird", erläutern Initiator Prof. Dr. Thomas Metzinger und seine Mitherausgeberin Dr. Jennifer Windt. "Es ging uns aber auch darum, eine elektronische Ressource zu schaffen, die auf Jahre hinaus von weniger privilegierten Studierenden und Forschern in Ländern wie Indien, China oder Brasilien genutzt werden kann. Man kann dieses Projekt deshalb auch als eine Spende von intellektuellem Eigentum betrachten: Zu unserem zehnjährigen Jubiläum haben wir uns entschieden, eben gerade nicht – wie üblich – ein vorübergehendes wissenschaftliches Ereignis mit einem gigantischen CO2-Fußabruck zu organisieren, sondern zu versuchen, einen bleibenden Wert zu schaffen, von dem alle profitieren können – und nicht nur Forscher in den wohlhabenden Teilen der Welt. Außerdem war es uns ganz besonders wichtig, die Beiträge der Juniormitglieder im Sinne der Nachwuchsförderung an prominenter Stelle weltweit sichtbar zu machen. Der Titel 'Open Mind' ist für uns auch der Ausdruck einer andauernden Suche nach einer erneuerten Form von akademischer Philosophie, die um intellektuelle Redlichkeit bemüht ist, den empirischen Tatsachen sehr direkt ins Auge sieht und dabei immer ethisch sensibel und gesellschaftskritisch bleibt. In diesem Prozess wird sich die akademische Philosophie in verschiedener Hinsicht öffnen müssen. Was in der gegenwärtigen Situation gebraucht wird, ist daher eine ernstgemeinte Offenheit nicht nur für innovative Publikationsformen, sondern auch gegenüber anderen Disziplinen sowie neuen Methoden der Erkenntnisgewinnung und neuen Formen von Interdisziplinarität. Wenn das geschieht, könnte sich das Philosophieverständnis in den nächsten Jahren grundlegend wandeln. Auch hierzu möchte die Open MIND-Sammlung einen Beitrag leisten."

Das Projekt wurde finanziell von der Barbara-Wengeler-Stiftung, der VolkswagenStiftung und dem Gutenberg Forschungskolleg (GFK) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz unterstützt.